Librem 5: Der Preis der Freiheit

Librem 5: Der Preis der Freiheit
Zusammenbau des Librem 5

Während nach einigen Verspätungen die ersten Vorserienexemplare des Librem 5, des ersten von Grund auf entwickelten Linux-Smartphones, an die Vorbesteller ausgeliefert werden, hat Nicole Faerber, technische Leiterin bei Purism, in einem Blogeintrag erklärt, warum das Librem 5 seinen Preis hat.

Librem 5: Der Preis der Freiheit

Der Preis von mittlerweile 699 US-Dollar (599 für frühe Unterstützer) wird oft kritisiert, wenn Leute sich fragen, warum sie so viel für ein Mittelklasse-Smartphone zahlen sollen, wenn sie ein technisch ähnlich ausgestattetes Gerät für weniger als die Hälfte kaufen können.

Die schnelle Erklärung ist, dass das Librem 5 kein Smartphone von der Stange ist. Als die Entwicklung 2017 begann, hatten die Entwickler bei Purism eine Idee, welche Eigenschaften das fertige Produkt haben sollte. Die Software sollte völlig frei sein. Die Hardware sollte vermeiden, dass der Besitzer überall, wo er geht und steht verfolgt und in seiner Privatsphäre verletzt wird.

Baukasten mit Binärblobs

Üblicherweise, wenn ein Unternehmen ein neues Smartphone plant, wendet er sich an einen Ausrüster wie Mediatek oder Qualcomm und stellt sich das zu produzierende Gerät im Baukastensystem zusammen und erhält möglichst alle Komponenten aus einer Hand. Diese Hersteller haben alle wichtigen Komponenten eines Smartphones hochintegriert auf einem Chip versammelt. Dazu wählt man dann noch Bildschirm, Kamera und Speicher.

Dieses hohe Maß an Integration führt dazu, dass Komponenten wie das Breitbandmodem oder der WLAN-Chip zur Laufzeit auf den gleichen Hauptspeicher zugreifen, in dem die persönlichen Informationen der Nutzer gespeichert werden. Da in diesem integrierten Chip die Firmware der Hersteller in binären Modulen vorliegt, deren Funktion nur der Hersteller kennt, war dies kein gangbarer Weg, die Ideen von Purism zu verwirklichen.

Von Grund auf neu entworfen

Also begann man von vorne und entwarf ein Mainboard von Grund auf, das es erlaubt, Komponenten, denen man nicht vertrauen kann, von der CPU zu separieren und auf M.2-Karten zu platzieren. Als Kern wählten die Entwickler die CPU i.MX8M von NXP, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal am Markt verfügbar war.

Die gesamte Infrastruktur um diese CPU herum musste in Form von Treibern neu geschrieben und in den Mainline-Kernel eingebracht werden. Aber damit nicht genug. Zu Beginn gab es auch kein fertiges Betriebssystem, das man verwenden konnte. Purism entschied sich gegen das in einem frühen Stadium vorhandene Plasma Mobile des KDE-Projekts und entschied sich, das auf Debian basierende PureOS, das auf den Notebooks von Purism läuft, für die mobile Plattform anzupassen. Auch dort begann das Team von Vorne, denn GNOME verfügte über keinerlei Mobilplattform.

Dass jetzt erste Geräte ausgeliefert werden, bedeutet, dass sich die Grundlagenarbeit der rund 15 Entwickler sowohl bei Hard- als auch bei Software auszahlt. Hier wurde Grundlagenarbeit geleistet, die zeitnah in den Linux-Kernel einzieht und somit auch anderen Projekten einfach zugänglich ist.

Ein anderes Smartphone

Um den Preis des ersten freien, die Privatsphäre achtenden Smartphones zu würdigen muss man sich von der verbreiteten Sichtweise »Hauptsache es läuft und ich habe alle Apps« verabschieden und sehen, dass hier eine Entwicklung zu einer anderen Art Smartphone-Ökosystem eingeleitet wurde, die gerade erste Früchte trägt, aber noch längst nicht abgeschlossen ist.

Kommentare

9 Antworten zu „Librem 5: Der Preis der Freiheit“

  1. Avatar von Kissenpirat

    Toller Artikel. Ich war am überlegen mit das #Librem5 zu bestellen. Jedoch finde ich das #Pinephone d… https://t.co/YPog580t7c

    1. Avatar von Ferdinand

      Das PinePhone wird auf absehbare Zeit nicht, wenn überhaupt jemals ein vollwertig nutzbarer täglicher Begleiter werden. Da sehe ich beim Librem 5 die besseren Chancen. Ich hoffe, dass mein PinePhone im Dezember eintrifft. Dann werde ich berichten.

  2. Avatar von anonym
    anonym

    Mal sehen, wie die Reaktionen ausfallen, wenn die ersten Leute ihre Geräte dann haben. Ich befürchte nämlich, dass sich Purism da etwas übernommen hat und damit am Ende viele Leute enttäuschen wird. Die Kombination aus hohem Preis, schwacher/klobiger Hardware, anscheinend unfertiger Software und einem fehlenden App-Ökosystem erscheint mir nämlich kein schlgendes Verkaufsargument zu sein, auch wenn es natürlich ein paar Überzeugungstäter geben wird, die sich das Gerät anschaffen.
    Vielleicht wäre es besser gewesen, sich vorerst auf das OS zu konzentrieren und es dann vorinstalliert auf irgendwelchen Foxconn-Geräten zu verkaufen, Firmware-Blobs hin oder her, bzw. Community-Ports auf andere Geräte zu unterstützen. Ob das kommerziell sinnvoll gewesen wäre, weiß ich nicht, an den Erfolg des Librem 5 glaube ich aber auch nicht.

  3. Avatar von Jonatan Hatakeyama Zeidler
    Jonatan Hatakeyama Zeidler

    Lustig, wie auf Plasma Mobile verwiesen, aber Ubuntu Touch gar nicht erwähnt wird, das um einiges ausgereifter sein dürfte als Purims eigenes PureOS oder Plasma Mobile. Überhaupt verstehe ich die Logik nicht, zu sagen: „Etwas Bestehendes ist nicht weit genug, also machen wir etwas ganz Neues“. Aber wenn sie PureOS zur Reife bringen, dann soll es mir Recht sein.

  4. Avatar von Klaus Meier
    Klaus Meier

    Es wäre sehr schade, wenn es sich da um eine einmalige Geschichte handeln würde, was ich aber befürchte. Wie sah denn das erste iPhone aus, konnte das mehr? war das billiger? Dieses Projekt macht erst dann Sinn, wenn es weitergeführt wird. Es müsste mindestens alle 2 Jahre ein neues Modell rauskommen. Die primären Entwicklungskosten sind gestemmt, da könnte man dann für 200€ weniger bessere Hardware anbieten. Da könnte man dann auf den Erfahrungen aufbauen. Jetzt ein einmaliger Schuß und dann nie wieder wird nicht viele motivieren. Wenn, dann möchte ich das auch noch in ein paar Jahren haben.

    1. Avatar von Ferdinand

      Durch seine Modularität ist das Librem 5 von vornherein auf längere Nutzungszeiten als bei Android und iOS üblich ausgelegt. Für Ende 2020 ist bereits eine zweite Auflage geplant. Purism plant eine nachhaltige und tragfähige Basis, auf der auch andere Projekte aufsetzen können. Ich finde, Purism hat hier in der gegebenen Zeit ein herausragendes Projekt aus dem Boden gestampft, auch wenn es in letzter Zeit Kritik an schleppender Kommunikation und Unaufrichtigkeit über den Stand des Projekts gab.

  5. Avatar von tuxnix
    tuxnix

    Konnte man inzwischen auch die Wärmeentwicklung in den Griff bekommen? Mal schauen, wie die Berichte ausfallen wenn die erste Marge ausgeliefert ist. Insgesamt ist es aber schon toll was die Entwickler hier geleistet haben. Auch die Förderer des Projekts können stolz auf sich sein, war doch allen klar, dass man hier ein Projekt anschiebt, das sehr viel Arbeit erfordert. Klar, richtig bezahlt macht sich das Ganze erst, wenn die Geschichte dann auch weiter geht. Aber das tut es ja jetzt schon. Mit den kill-switches und einem getrennten Modem ist das pinephone von dem Sicherheitsstandard beeinflusst, den das Librem 5 gesetzt hat. Plasma mobile ist inzwischen so richtig in Schwung gekommen und gibt jetzt wöchentliche Entwicklungsberichte heraus. https://www.plasma-mobile.org/blog/ und postmarketOS will bis Ende des Jahres das pinephone komplett unterstützt haben.
    https://gitlab.com/postmarketOS/pmaports/merge_requests?milestone_title=PinePhone+as+first+daily+driver
    UBports ist wohl schon soweit.
    Dass inzwischen so vieles gleichzeitig passiert, macht klar, dass Linux mit mainlinekernel und freien Treibern auf dem Smartphone einen festen Platz bekommen wird.

    1. Avatar von Ferdinand

      Das Wärmeproblem wird sukzessive über mehrere Upgrades angegangen werden. Jetzt stand zunächst das Audioproblem bei Anrufen im Vordergrund, das heute gelöst werden konnte und in ~ 3 Tagen auf den Geräten ankommt.

  6. Avatar von Thoys

    In manchen Vorträgen wird gesagt, dass Datenschutz irgendwann Luxus für Reiche sein wird. Ich finde Ressourcenaufwändig ist es jetzt schon, entweder Wissen oder/und Geld muss man jetzt schon haben, ansonsten landet man im Mainstream. Das heutige „Normal“ finde ich ganz schön extrem.

    Daher großes Lob an die Entwickler und alle, die hier mitarbeiten (dazu gehört auch dieser Blog, der uns Unwissenden 😉 auf dem Laufenden hält), dass ein neues Gerät mit dahinterstehendem Wertesystem geschaffen wurde.

    Thoys

Schreibe einen Kommentar zu Kissenpirat Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert