Treffen der Generationen
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Ein bisschen schlechtes Gewissen ist dabei
Die letzten 2,5 Jahre hat das Sony Xperia XA2 Plus gut überstanden und im Prinzip spricht nur eines dafür, das Gerät durch den Nachfolger in 2. Generation zu ersetzen: die Kamera. Dazu kommen wir aber später. Jedenfalls rebellierte der Nachhaltigkeitsansatz in mir dagegen, dass sich der Spieltrieb durchgesetzt hat und es zu einer Bestellung kam. Das Vorhaben, das XA2 Plus einer Zweitverwendung zuzuführen, wird dadurch gebremst, dass die Lizenz für teilweise proprietäre Betriebssystem Sailfish X auf meinen Jolla Account läuft.
Eine Übertragung ist meines Wissens nur über den Jolla Support Zendesk von Gerät zu Gerät aber nicht auf eine andere Person möglich. Ein neuer Besitzer müsste sich also entweder eine neue Lizenz beschaffen oder sich mit der freien Version des OS zufriedengeben, welche technisch auf dem gleichen Stand wie die kostenpflichtige Variante steht, aber keine Unterstützung für Android Apps, Exchange Anbindung und keine vorausschauende Texteingabe unterstützt. Aufgrund des Alters und des Restwerts des Geräts ist wahrscheinlich der Kauf einer Lizenz zum vollen Preis von 49,90 € wenig attraktiv. Für Käufer einer Lizenz für das neue Gerät gibt es einen zeitlich begrenzten Nachlass auf 29,90 €.
Die Hardware
Auf die Details möchte ich gar nicht so sehr eingehen. Ich bin wohl nicht allzu anspruchsvoll, denn das ältere Gerät hat mir leistungsmäßig immer genügt. Von beiden Geräten gibt es Varianten für den asiatischen Markt, aber wozu, wenn man mit 4 GByte RAM und der Snapdragon 630 CPU vollauf zufriedengestellt war. Das Gerät erschien im Jahr 2018 und seitdem war es so, dass Jolla immer mit knapp 1 Jahr nach der Vorstellung des Gerätes durch Sony die Adaptierung des Betriebssystems so weit hatte, dass sie einigermaßen einsatzfähig war.
Auch jetzt ist bereits das Sony Xperia 10 III angekündigt, welches mit 5G und einem größeren Akku punktet. Dabei ist der 3600 mAh Akku der aktuellen Generation auch mit Sailfish X keineswegs ein Schwachpunkt, aber mehr geht immer, solange der Träger kräftig genug ist. Neben dem neuen Snapdragon 665 SoC sticht im Vergleich zu meinem alten Gerät vor allem die Triple-Kamera hervor, die aufgrund einer Umstellung bezüglich der Treiber/Binärblobs eine effizientere Nutzung durch das Sailfish OS ermöglicht. Außerdem ist das neue Smartphone laut Hersteller wasserabweisend nach IP65/68 Standard. Mit 128 statt 32 GB Massenspeicher verbessere ich mich deutlich.
AArch64 und die Folgen
Mit Qualcomms Snapdragon-665-SoC und Sailfish X in der Version 4.1 macht das OS aus Finnland, das mit russischer Verstärkung weiter entwickelt wird, den Schritt auf die 8. Generation der Arm Architektur, welche für Jolla erstmalig auch die AArch64 Erweiterung nutzt. Das hat zur Folge, dass alle nativen Apps die für Sailfish in der 32-Bit Version zur Verfügung stehen, neu kompiliert werden müssen. Da viele ehrenamtliche Entwickler über kein solches Gerät verfügen und nicht alle ihre Projekte aktiv pflegen, führt das zu einer erheblichen Reduzierung der verfügbaren Apps. Mit Alien Dalivik, der Erweiterung, welche die Installation von Android Apps ermöglicht, führt das im Alltag kaum zu Problemen, verringert aber den Druck, native Apps zu entwickeln.
Damit verstärkt sich nochmals der Eindruck, dass es sich selbst bei einer so gut funktionierenden Android Kompatibilität immer um ein zweischneidiges Schwert handelt. Auch andere mobile Betriebssysteme werden damit zu kämpfen haben, wenn z.B. Anbox aus den Kinderschuhen kommt. Da das Duopol der Androiden und iOS-Geräte mit staatlicher Unterstützung weiter ausgebaut wird und staatliche Leistungen wie Behördengänge zum Self-Service mittels Smartphone entwickelt werden, Banken und ÖPNV es den Kunden immer schwerer machen, ohne ein Smartphone mit einem der genannten Betriebssysteme auszukommen, verschärft sich die Situation für alternative Betriebssysteme.
Gut gelöst hat Jolla die Unterbringung der 32- und 64-Bit Architekturen im eigenen Store (Harbour), hier werden jeweils die zum Gerät kompatiblen Versionen angezeigt. Entsprechend übersichtlich fällt das Angebot für das Xperia 10 II aus.
Die Kameras
Das Xperia 10 II kommt neben der obligatorischen Selfie-Kamera mit einem dreifach Fotomodul bestehend aus:
- Weitwinkelsensor mit 12 Megapixel f/2.0 (26 mm), 1/2,8″ Sensor und 77° Blickwinkel
- Teleobjektiv mit 12 Megapixel und 2x-Zoom f/2.4 (52 mm), 1/4″ Sensor und 45° Blickwinkel
- Ultra-Weitwinkel-Sensor mit 8 Megapixel f/2.4, 1/4″ Sensor und 120° Blickwinkel
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Die Nutzung von Ultraweitwinkel oder Teleobjektiv setzt die Nutzung der Advanced Camera App aus den Open Repos voraus. Alternativ funktioniert das auch mit der Android App Open Camera. Dennoch kann Sailfish auch mit dieser Hard- und Software kaum mit einem guten Android Mittelklasse Gerät mithalten, macht jedoch einen großen Schritt nach vorn, was Bildqualität und Vielseitigkeit betrifft. Für mich ist damit ein Niveau erreicht, mit dem ich zurechtkomme, ohne bei jeder Aufnahme zu bedauern, kein andere Kombination zu verwenden.
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Die 23 Megapixel Auflösung der Hauptkamera des XA2 Plus führt im Vergleich zu den mit 12 Megapixel geringer auflösenden Vergleichsgeräten, keineswegs zu schärfen Bildern. Mit der neuen Version von Advanced Camera können vermutlich nun auch Geräte wie das Sony Xperia XA2 Ultra, welches über eine Dual-Kamera verfügt, beide Sensor/Objektiv Kombinationen nutzen. Auch Community Ports, also von Jolla nicht offiziell unterstützte Geräte, dürften nun Ihre Mehrfach-Kameras unter Sailfish nutzen können. Bei den Community-Geräten besteht meist keine Ausweichmöglichkeit auf die Android-App Open Camera, da Alien Dalvik auf diesen Geräten nicht verfügbar ist.
Navigation
Ältere Versionen des Betriebssystems benötigten etwas Zeit für die Herstellung der Verbindung zum Globalen- Postionierungs-System. Ich nenne es die „MeeGo Gedenkminute.“ Mit dem Release 4.1 wurde die Unterstützung des Mozilla Location Service verbessert und einige offline Daten ergänzt. Installiert der Anwender die offline Daten der Region, in der er sich befindet, beschleunigt das die Positionsbestimmung. Die von Jolla empfohlenen Einstellungen sind in den beiden folgenden Screenshots zu sehen.
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Auch mit Android Apps scheint die Navigation gut zu funktionieren, getestet habe ich das mit Komoot bei schönem Wetter. Letztere App benötigt dem Aurora-Store zufolge das Google Services Framework und obwohl ich MicroG nicht verwende, konnte ich jedoch keinerlei Einschränkungen feststellen.
Was mir sonst noch aufgefallen ist
Das neue Gerät ist in etwas so lang wie das XA2 Plus aber erheblich schmaler. Eine große und eine weniger große Variante gibt es im Gegensatz zu den beiden Vorgänger-Generationen nicht mehr. Das OLED Display des Xperia 10 II löst zwar feiner auf als das IPS Panel des älteren Modells, hat jedoch eine geringere Größe und stellt die Farben weniger neutral dar. Aus meiner Sicht ein Punkt für das ältere Gerät, dessen Größe mich nicht störte. Für die gute Akkulaufzeit beim aktuellen Modell müssen lange Ladezeiten in Kauf genommen werden. Im Vergleich lädt das Vor-Vorgängergerät schneller! Das neuere Gerät ist etwas leichter, mit dem zum Teil aus Metall gefertigten Gehäuse wirkt das ältere Gerät zwar etwas hochwertiger aber auch altbacken.
Der Monolautsprecher des älteren Geräts ist lauter und klingt deutlich besser, was aufgrund des größeren Metallgehäuses auch zu erwarten war. Den Fingerabdruckscanner fand ich auf der Geräterückseite besser untergebracht als im Einschaltknopf des Xperia 10 II. Dort machte es auch Sinn zwei Fingerabdrücke zu hinterlegen. Mit der von mir eingesetzten Klarsichthülle, die beim Freigeben stört, verliert diese doch sehr bequeme Art des Entsperren deutlich an Alltagstauglichkeit.
Eine Gesichtserkennung bietet das System nicht, die vermisse ich auch nicht. Interessant finde ich auch, dass Jolla, trotz einiger Vorkommnisse kompromittierter Pakete weiter den Aptoide-Store als Quelle für Android Apps im Jolla Store anbietet. Ich empfehle den F-Droid Store. Applikationen aus anderen Quellen versuche ich zu vermeiden, wenn es unbedingt sein muss, beziehe ich diese über den Aurora-Store, welchen ich über F-Droid installiert habe.
Fazit
Seit Sailfish 3 bin ich nun dabei und mit jeder Version fließen kleine und größere Verbesserungen ein, sodass ich mit der aktuell vorliegenden Kombination mit dem neuen Sony Telefon vollauf zufrieden bin. Für mich hat es sich gelohnt, das ganze System läuft doch etwas zügiger und ich kann endlich annehmbare Fotos machen. Sailfish ist aufgrund der proprietären Anteile nur eine Übergangslösung bis ich zu einem komplett freien mobilen Betriebssystem wechseln kann. Aktuell möchte ich noch keine der bislang zur Verfügung stehenden Optionen als täglichen Begleiter, aber es gibt sehr vielversprechende Kandidaten. Um möglichst alltagstauglich von Android (inkl. Ableger) und iOS Abstand zu gewinnen, ist Sailfish meiner Erfahrung nach eine wirklich gute Lösung. Vielleicht gibt sich Jolla irgendwann doch einen Ruck, Sailfish zumindest komplett quelloffen bereitzustellen.