Bild: Penguins | Quelle: pxhere | Lizenz: CC0
Eigentlich haben viele im Linux-Dunstkreis heute Morgen beim Öffnen ihres Feed-Readers erwartet, die Veröffentlichungsnotiz für Linux 4.19 vorzufinden. Da war aber nichts. Der Grund für die Verspätung ist vermutlich die heutige Eröffnung des Open Source Summit in Edinburgh. Wenn es also keinen neuen Kernel gab, entschloss ich mich, zunächst einen Blick auf den nicht unumstrittenen Code of Conduct (CoC) und die Ereignisse der letzten Tage drumherum zu werfen.
Neuer Code of Conduct
Der neue Code of Conduct wurde ohne Öffentlichkeit etwa zeitgleich mit dem Beginn von Linus Torvalds Auszeit in den Kernelbaum eingebracht. Greg Kroah-Hartman hat das zwar als übliches Verhalten bei Dingen bezeichnet, die unter Richtlinien subsummiert werden können oder kontrovers sind. Aber in der gegebenen Situation sorgte ein neuer, still und leise eingebrachter Verhaltenscodex für Irritation bei vielen Entwicklern.
Kritik am CoC
Allgemein wurde erwartet, dass der Kritik an einigen Punkten des CoC noch vor der Veröffentlichung von Kernel 4.19 und dem Konferenzbeginn in Edinburgh Rechnung getragen würde. So hat Kroah-Hartman dann auch am Samstag eine Patch-Serie eingereicht, die sich einigen dieser Kritikpunkte annimmt und zudem ein Papier mit einer »Gebrauchsanweisung« hinzufügt.
Rolle der Maintainer
Bei den Änderungen ging es beispielsweise um die Rolle der Maintainer, die in der Originalfassung für die Durchsetzung des CoC zu sorgen hatten oder mit einem Nachspiel rechnen mussten. Das hat verständlicherweise für Unruhe gesorgt und so wurde dieser Passus gestrichen. Diesmal wurden die Änderungen einer größeren Anzahl an Entwicklern vorgelegt, bevor die Patches rausgingen.
In the end, „be kind to each other“ is really what the end goal is for everybody. GKH
Gebrauchsanweisung
Großen Raum nimmt der Patch mit der Code of Conduct Interpretation ein, die erklärt, wie der CoC zu handhaben ist. Das Dokument stellt klar, dass man zwar freundlicher miteinander umgehen will, dass das aber nicht bedeutet, dass das Maß an Kritik, das den Einreichungen der Entwickler entgegengebracht wird, abnimmt. Der Entwicklungsprozess habe sich als der robust erwiesen, so wie er ist.
Die Verantwortung der Maintainer in Bezug auf den CoC wird als der Wille, durch gutes Beispiel zu führen definiert. Es geben aber keine neuen Anforderungen an die Maintainer, das Verhalten anderer Entwickler direkt in irgendeiner Weise zu handhaben. Sie sollen allerdings versuchen, aufkommende Probleme zu lösen und wenn nötig an das »Technical Advisory Board« (TAB) oder die Mediatorin Mishi Choudhary heranzutragen.
Alles rein menschlich
Da viele Menschen an diesem Projekt arbeiten, wird es immer wieder menscheln und dabei auch Ausrutscher geben. Diese können nach dem neuen CoC wie ein Fehler im Code einer Software behandelt werden. Wenn also jemand in einer Mail unerwünschte Ausdrücke verwendet, kann jemand, der sich davon negativ angesprochen fühlt, einen Bug eröffnen, um die beanstandete Stelle abzuändern. Das gilt allerdings nicht rückwirkend. Linus Torvalds frühere verbale Entgleisungen bleiben uns in seinen alten E-Mails also auch künftig erhalten.
Mittlerweile ist dann auch Linux 4.19 samt der Änderungen am CoC von Kroah-Hartman veröffentlicht worden, der damit den Staffelstab wieder an Torvalds zurückgibt.
Linus Torvalds schickt meist sonntags nachmittags eine E-Mail über die Linux Kernel Mailing Liste (LKML) hinaus in die Welt, um eine neue RC-Version des in Entwicklung befindlichen Kernels oder gar dessen stabile Veröffentlichung anzukündigen. Dabei geht er dann auch auf den Wochenverlauf in Sachen Kernel ein. Gab es aus seiner Sicht unerfreuliche Dinge, so kamen oft starke Worte – oft auch persönlich verletzend – zum Einsatz, um diese Vorkommnisse zu kommentieren.
Auszeit angekündigt
Die gestrige E-Mail, die Linux 4.19-rc4 ankündigte, war länger als gewöhnlich und enthielt neben dem technischen Teil eine Entschuldigung von Linus Torvalds und die Ankündigung einer Auszeit. Torvalds will den Rest des Zyklus zu Linux 4.19 Abstand gewinnen und hat die Zügel für diesen Zeitraum an Greg Kroah-Hartman übergeben.
Code of Conduct
In den letzten Wochen wurde auf LKML und in den Communities wieder einmal über Maintainership diskutiert. Die angemessene Verhaltensweise eines Maintainers in der Kernel-Community wird auch Thema des anstehenden jährlichen Maintainer’s Summits sein, der für gewöhnlich in den Kernel Summit eingebettet ist.
Als Ergebnis aus diesen Diskussionen, die seit Jahren immer wieder aufkommen und deren Vorwürfe Torvalds immer weggewischt hatte, wurde am Wochenende aus dem bisherigen, eher allgmein gehaltenen Code of Conflict ein Code of Conduct, der wünschenswerte Verhaltensweisen vorgibt und so oder ähnlich in vielen Communities die Zusammenarbeit regelt.
Terminwirren
Der Auslöser der Diskussion war, dass Torvalds seinen Kalender falsch gelesen und die Termine und Orte von Kernel Summit und Maintainer’s Summit in Vancouver durcheinandergebracht hatte. Torvalds für den Zeitraum des Maintainer’s Summit bereits einen Familienurlaub in Schottland gebucht. In der Folge wurde kurzerhand das Treffen von Kanada nach Schottland verlegt.
Maintainer Summit
Torvalds hatte angeboten, den Summit deshalb in diesem Jahr ohne ihn abzuhalten, was die Kollegen jedoch ablehnten und lieber von Vancouver auf Edinburgh umschwenkten. Die rund 30 eingeladenen Kernel-Entwickler des Maintainer’s Summit mussten also ihre Reisepläne ändern, um prozedurale und soziale Aspekte in der Kernel-Entwicklung zu diskutieren.
Im Spiegel
Torvalds sagt, dass dieser Vorfall ihm zu denken gab, und dass er im Nachhinein, als es darum ging, ob die Konferenz erstmals ohne ihn stattfinden soll, sehr zu dieser Lösung tendiert habe. Insgesamt scheint dieser Vorfall und die anhaltenden Diskussionen zu einer Selbstreflexion geführt zu haben, in deren Verlauf Torvalds sich eingestehen musste, dass er emotionale Probleme im Umgang mit seinen Kollegen habe.
Öffentliche Entschuldigung
Diese Probleme will Torvalds nun während seiner Auszeit versuchen zu lösen und will sich dazu nach eigenem Bekunden Hilfe suchen. Er stellt klar, dass es sich nicht um einen Burnout handelt und er seinen Job liebt und ihn auch fortsetzen will. Lediglich sein Verhalten will er reflektieren und möglichst ändern. Eine öffentliche Entschuldigung, besonders für persönliche Verletzungen in der Vergangenheit ist sein erster Schritt dahin.