Im Januar suchte die Stadt Schwäbisch Hall einen neuen IT-Leiter, was mir eine Nachricht wert war, da Schwäbisch Hall in Baden-Württemberg mit rund 40.000 Einwohnern fast komplett auf Linux in der Verwaltung setzt.
Dadurch ergab sich ein Kontakt zu Mathias Waack, dem Leiter des Fachbereichs Organisation und IT bei der Stadt, der mir freundlicherweise ein paar Fragen zu Linux in der Verwaltung von Schwäbisch Hall beantwortet hat.
Herr Waack, die Verwaltung von Schwäbisch Hall nutzt seit 2002 durchgehend Linux und Freie Software und ist somit Vorreiter auf diesem Gebiet. Nach dem Ende von Linux in München ist Schwäbisch Hall meines Wissens damit in dieser Ausprägung in Deutschland ziemlich allein auf weiter Flur. In welchen Ressorts und Abteilungen wird denn Linux überall eingesetzt?
Wir setzen Linux in allen Fachbereichen und Abteilungen der Verwaltung ein. Und wir sind auch nicht so ganz allein damit, ich bin in Kontakt mit Kollegen in anderen Verwaltungen, die einen ähnlichen Weg gehen, das aber nicht an die große Glocke hängen. Im Norden wurde jüngst das Projekt Phoenix abgeschlossen, welches einen standardisierten, Linux-basierten Desktop für die Verwaltung anbietet. Da ist also einiges in Bewegung.
Die Entscheidung für Linux fiel damals vordergründig wegen Sparzwang, da die Stadt einen Einbruch bei der Gewerbesteuer verkraften musste. Wie sehen Sie heute die Gewichtung bei den Vorteilen von Linux und Freier Software?
Der große Vorteil Freier Software ist die Unabhängigkeit von großen Herstellern, die Gewissheit der eigenen Datenhoheit und ein Gewinn an Sicherheit. Die Kosten lassen sich nicht einfach messen, was man bei Freier Software an Lizenzen spart, zahlt man an Administration und Support wieder drauf. Das konkrete Ergebnis dieser Rechnung hängt dann vom konkreten Anwendungsfall ab.
Hard- und Software
Lassen Sie uns konkret über Hard- und Software sprechen. Wie viele Server und Clients laufen in der Stadtverwaltung unter Linux?
Wir betreiben ungefähr 450 Linux-Clients und einige Dutzend Server.
Wie viele Server oder Clients laufen mit anderen Betriebssystemen und was sind deren Aufgaben? Ich denke da z.B. an Fachverfahren.
Den teilweise notwendigen Zugriff auf Windows ermöglichen wir durch den Einsatz von Desktop-Virtualisierung oder die Nutzung von Terminal-Services. Für letzteres setzen wir entsprechende virtuelle Maschinen mit Windows-Servern ein. Reine Windows-Rechner nutzen wir nur in sehr wenigen Ausnahmefällen.
Ich weiß, dass Sie derzeit Ubuntu LTS mit Xfce als Desktop-Umgebung nutzen. Was kam denn vor Ubuntu zum Einsatz?
Wir haben damals mit Suse begonnen, bevor wir den Schwenk auf Ubuntu gestartet haben.
Wie schaut es denn diesbezüglich bei Servern aus?
Dort setzen wir auf ein kommerzielles Linux, da wir hier den Hersteller-Support nutzen.
Warum setzen Sie nicht gleich auf Debian?
Es gibt einige Dutzend Linux-Varianten, man kann sich trefflich streiten, ob das Vor- oder Nachteil ist. Letztendlich muss man sich für eine entscheiden, neben den Features spielt da auch die Erfahrung der Administratoren eine gewichtige Rolle. Und wir haben uns nun für Ubuntu entschieden.
Ist hier der LTS-Support von Canonical ausschlaggebend?
Nein, den Support von Canonical nutzen wir nicht.
Wie sieht es mit dem Einsatz von Virtuellen Maschinen und Containern aus?
Unsere Server-Landschaft ist durchgehend virtualisiert, bei Bedarf setzen wir auch auf den Desktops virtuelle Maschinen ein. Container nutzen wir derzeit noch nicht.
Der menschliche Faktor
Bei der Umstellung von einem System auf ein anderes spielt der menschliche Faktor eine gewichtige Rolle. Wie sind die Mitarbeiter anfangs mit dem neuen System klargekommen und wie hat sich das im Laufe der Zeit entwickelt?
Die Mitarbeiter kommen mit dem System prinzipiell klar. Heutzutage spielt das Betriebssystem ohnehin nur noch eine sehr untergeordnete Rolle, wichtig für die Akzeptanz ist die Unterstützung der für die Erledigung der Arbeit notwendigen Software. Hier ist Linux nicht immer stark und die Unterstützung der Hersteller sehr häufig mangelhaft. Das muss unsere IT dann ausgleichen.
Bieten Sie spezielle Einführungen an? Inwieweit wurden die Mitarbeiter geschult und unterstützt?
In der Vergangenheit haben wir den Fachabteilungen eine Reihe von Schulungen angeboten. Aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit erstellen wir gerade ein neues Schulungskonzept, welches verpflichtende Einweisungen und Grundlagenschulungen umfasst.
Austausch mit der Außenwelt
Wie sieht es beim Austausch mit externen Behörden und mit den Bürgern bezüglich verwendeter Formate aus? Gibt es dort Probleme?
Hier hat sich in den letzten Jahren vieles verbessert. Zum einen lassen sich die meisten Windows-Formate inzwischen auch gut mit den entsprechenden Linux-Programmen verarbeiten. Zum anderen sind immer mehr Austauschformate standardisiert worden. Bei letzteren gibt es natürlich noch einige Luft nach oben, der positive Trend ist aber unverkennbar.
Die Verwaltung von Schwäbisch Hall scheint so etwas wie das gallische Dorf bei Asterix zu sein und somit eine Enklave. Gab oder gibt es Anfeindungen auf politischer Ebene von Außen oder gar von Innen von der eigenen Opposition?
Prinzipielle Einwände gegen Linux oder unsere Open-Source-Strategie sind mir nicht bekannt. Natürlich werden wir an unseren Leistungen gemessen, und wenn die Open-Source-Tools nicht an die Leistungsfähigkeit kommerzieller Tools heranreichen, wird das natürlich und zu Recht durchaus kritisiert. Daher fahren wir ja auch einen durchaus pragmatischen Ansatz und setzen in den entsprechenden Bereichen kommerzielle Software ein.
Spart Linux in Schwäbisch Hall Steuergelder ein?
Gibt es belastbare Zahlen zu den Einsparungen, die durch die Verwendung von Linux und Freier Software in Schwäbisch Hall bisher erzielt wurden?
So eine Rechnung ist schwierig, da hier viele Komponenten eine Rolle spielen. Wir haben ja in München gesehen, wie die verschiedenen Seiten zu sehr unterschiedlichen Zahlen gekommen sind. Wir gehen von einer jährlichen Einsparung im mittleren sechsstelligen Bereich aus.
In Schwäbisch Hall arbeitet die gesamte Verwaltung von der Spitze bis hin zu den Stadtwerken mit Linux. In welchen Bereichen gab oder gibt es die meisten Probleme?
Die größten Herausforderungen gibt es mit Spezial-Hardware, gefolgt von einigen wenigen exotischen Softwareprodukten. Besonders enttäuschend ist es, immer wieder zu sehen, wie solche Systeme sogar vom Bund oder dem Land gefördert, ja teilweise deren Einsatz sogar erzwungen wird. Da gibt es Spezial-Drucker (für offizielle Dokumente), für die es nur Windows-Treiber gibt, oder das Land bezahlt die Entwicklung eines Excel-Makros, welches es den Kommunen dann „kostenlos“ zur Verfügung stellt. Das so etwas immer noch möglich ist, ärgert mich persönlich.
Neuer IT-Leiter
Vor einigen Wochen habe ich hier im LinuxNews-Blog die Suche nach einem neuen IT-Leiter für die Stadt geteilt. Gibt es da inzwischen eine Erfolgsmeldung?
Wir hatten erstaunlich viele Bewerbungen, ganz sicher auch dank der Werbung des LinuxNews-Blogs. Am Ende hatten wir sogar den Luxus einer Auswahl. Bei einer demokratischen Wahl im Personal- und Organisationsausschuss des Gemeinderats wurde dann ein Kandidat gewählt, der diese Wahl auch angenommen hat. Wir freuen uns schon sehr auf die künftige Zusammenarbeit.
Ich persönlich fand es schade, dass wir diesmal ausschließlich männliche Bewerber hatten. Daher möchte ich diese Gelegenheit nutzen, an alle Leserinnen und Leser zu appellieren: IT ist nicht nur sehr spannend, sie ist auch völlig geschlechtsneutral. Wir haben das Glück einer „gut gemischten“ IT-Abteilung, in der alle Kolleginnen und Kollegen wirklich gute Arbeit leisten und ein gutes Arbeitsklima herrscht. Ich hoffe, bei unserer nächsten Ausschreibung ein deutlich bunteres Feld an Bewerberinnen und Bewerbern vorfinden zu können.
Herr Waack, vielen Dank für dieses informative Interview!
Bild: Das Barocke Rathaus Schwäbisch Hall von Matthias Süßen| Quelle: Wikimedia | Lizenz: CC BY-SA 4.0
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