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Während der Online-Konferenz DebConf 20 vor rund zwei Wochen hielt der derzeitige Projektleiter Jonathan Carter einen Vortrag zu den Problemen, denen sich das Projekt derzeit gegenüber sieht. Kurz zusammengefasst lautet das Fazit: Wir haben genug Geld, aber zu wenig Entwickler.
Große Außenwirkung
Debian ist ein Projekt mit großer Außenwirkung. Einerseits wird es in vielen Unternehmen und Organisationen bis hinauf zur ISS als Server-Software eingesetzt, andererseits nutzen viele Distributionen Debian als Basis. Ubuntu ist die größte dieser Distributionen, die wiederum selbst Hunderte von Ablegern hat, die indirekt ebenfalls auf Debian basieren.
Diese große Außenwirkung erzeugt Debian erstaunlicherweise als freies Projekt ohne ein Unternehmen im Hintergrund und nach dem Prinzip der Do-ocracy arbeitend.
Genügend Geld …
Im Vergleich mit der Bedeutung von Debian ist die Entwicklerschar relativ übersichtlich und schwankt seit Jahren um die Tausend. Derzeit sind es 975 Entwickler und 223 Maintainer. Das ist laut Carter zu wenig und behindert das Wachstum des Projekts. Derzeit finden sich in Debian 11 »Bullseye«, der kommenden stabilen Version des Projekts über 61.000 Binärpakete der amd64-Architektur und fast 32.000 Quellpakete.
… zu wenig Entwickler
Die finanzielle Basis des Projekts erscheint sehr solide, denn derzeit verwalten die drei Organisationen debian.ch, debian.france und Software in the Public Interest (SPI) rund 930.000 US-Dollar für Debian. Angesichts dieser Summe erscheint es mir unverständlich, warum Teams von Debian-Entwicklern komplexe Software-Sammlungen wie KDE Plasma auf unzureichender Hardware bauen müssen und dabei sowieso schon rar gesäte Entwicklerzeit verschwenden.
Debian ist ein bodenloser Abgrund an Problemen und ich meine das auf die freundlichste Art und Weise, die möglich ist.
Jonathan Carter, DebConf 2020
Carter versucht im Vortrag zu erklären, woran es liegt, dass Hardwarebeschaffung in einem solchen Projekt aufgrund der dezentralen Verteilung der Entwickler ein Vorhaben ist, dass oft länger dauert als erwartet. Allein der Austausch einer Festplatte kann so zu einem größeren Unterfangen werden, wenn jemand zum entsprechenden Rechenzentrum reisen muss, um den Austausch vorzunehmen.
Hardware-Bereitstellung
Bei der Inbetriebnahme neuer Server gestaltet sich das noch wesentlich komplexer. Carter weist zudem darauf hin, dass Covid 19 natürlich in diesem Jahr noch zusätzlich bremst. Ein weiterer Punkt sei, dass viele Entwickler sich schämen, ihren Bedarf öffentlich zu machen. Das will mir nun gar nicht einleuchten. Wenn ich schon meine Zeit einbringe für ein Projekt, erwarte ich sogar, bestmöglich unterstützt zu werden.
Viele Entwickler sind permanent überlastet, ihr Leben ist zeitweise von Debian bestimmt und sie arbeiten am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Carter schätzt, dass Debian mit der dreifachen Zahl an Entwicklern alle seine Ziele erreichen könnte und gleichzeitig das Stresslevel auf ein erträgliches Maß gesenkt werden könnte.
Neue Entwickler akquirieren
Das führt zu der Frage, warum Debian bei der großen Außenwirkung nicht mehr Entwickler anzieht und wie mehr Anreize im Onboarding geschaffen werden können. Viele Probleme des Projekts sind bereits öffentlich diskutiert worden, Abhilfe ist aber nur sehr begrenzt in Sicht. Es wird ständig darüber diskutiert, wie man mehr Frauen und Minoritäten für Debian akquirieren kann. Ich denke dagegen, viel entscheidender ist, dass der Entwicklernachwuchs immer weniger bereit ist, sich mit verkrusteten Strukturen und nicht adäquaten Tools und Kommunikationsformen abzufinden.
Veraltete Strukturen
Auch die internen Strukturen halten Debian auf. Neue aufzunehmende Pakete oder bestehende, deren Änderung eine Sichtung im Hinblick auf Copyright und Lizenzen benötigen, landen in NEW-Warteschlange, in der eine Wartezeit von einem Monat keine Seltenheit ist und derzeit zwei Pakete seit fast einem Jahr festhängen.
Teils feindliche Arbeitsumgebung
Zwei weitere Punkte, die Carter anspricht sind einerseits zu wenig Marketing, was sich in zu wenig Präsenz in den Medien ausdrückt, andererseits müsse Debian auch optisch attraktiver werden. Was Carter nicht anspricht ist, dass Debian oft eine feindliche Arbeitsumgebung sein kann, in der es Machtspiele gibt und es immer öfter eher um Political Correctness und den Code of Conduct geht als um den eigentlichen Code. Angesichts der ganzen Probleme ist es erstaunlich, dass das Projekt so gut funktioniert, wie es das tut, jedoch wäre mehr möglich, wenn die Last auf mehr Schultern verteilt wäre und der Code im Vordergrund steht.
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