Audacity schießt sich endgültig ins Abseits

Erst vor wenigen Tagen sah es so aus, als sei Audacity samt neuem »Besitzer« Muse Group zur Ruhe gekommen. Ein Update auf Audacity 3.0.3 behob einige Fehler und brachte kleine Verbesserungen. Kaum war das geschehen, veröffentliche Muse Group am vergangenen Freitag überarbeitete Datenschutzbestimmungen, die mit Datenschutz nun wirklich nichts zu tun haben und mit denen sich Audacity in den Augen der Open-Source-Community endgültig ins Abseits stellt. Es handelt sich dabei um eine gekürzte Version der generellen Datenschutzbestimmungen von Musecore. Niemand, dem seine Daten etwas wert sind, wird Audacity künftig noch mit der Mistgabel anfassen können.

Nachdem der Versuch, Telemetrie einzuführen am Protest der Community scheiterte, folgt nun eine Datenschutzerklärung, die das Nach-Hause-Telefonieren legitimiert und der Muse Group völlig unakzeptable Rechte einräumt, die in der Form vermutlich von der DSGVO nicht gedeckt sind. Natürlich blieb diese Anpassung der Community nicht lange verborgen und am Wochenende wurden die neuen Richtlinien auf GitHub und Reddit stark kritisiert und ein Fork nahegelegt.

Was wird gesammelt?

Zunächst erklären die Richtlinien, welche Daten über die Hard- und Software des Rechners gesammelt werden:

  • OS Name und Version
  • Land des Anwenders basierend auf der IP
  • CPU des Rechners
  • Fehlercodes und Crash Reports, die Audacity erzeugt

Daten nach Russland und die USA?

Darüber hinaus werden Daten gesammelt, die »notwendig für Strafverfolgung, Rechtsstreitigkeiten und Anfragen von Behörden« sind. Was das für Daten sind, wird nicht verraten. Klar wird dagegen, dass eine Identifizierung über die IP-Adresse problemlos möglich ist, da die IP erst nach 24 Stunden gehashed wird. Wenn es um die Speicherung der Daten geht, heißt es zudem:

Alle Ihre personenbezogenen Daten werden auf unseren Servern im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gespeichert. Gelegentlich sind wir jedoch verpflichtet, Ihre personenbezogenen Daten mit unserer Hauptniederlassung in Russland und unserem externen Rechtsberater in den USA auszutauschen.

Datenschutzbestimmungen für Audacity

Außerdem heißt es in Absatz 4 unter anderem, dass Muse Group die Daten an jeden weitergeben kann, den sie als »Drittpartei«, »Berater« oder »potenzielle Käufer« klassifizieren. Für mich heißt das: potenziell an jeden. Die Community rätselt noch, warum für Audacity eine Altersbeschränkung eingefügt wurde, die zudem noch gegen die GPL verstößt, die solche Einschränkungen der Nutzung nicht zulässt:

Die von uns zur Verfügung gestellte App ist nicht für Personen unter 13 Jahren bestimmt. Wenn Sie unter 13 Jahre alt sind, verwenden Sie die App bitte nicht.

Datenschutzbestimmungen für Audacity

Ein Fork kappt den Zugang zum Netz

Auf GitHub wird gemutmaßt, dass ohne diese Einschränkung die stillschweigende Zustimmung zu den Richtlinien durch Nutzung der App nicht möglich ist, da dies je nach Land erst ab einem gewissen Alter erlaubt ist. Was den GPL-Verstoß betrifft, so ist Muse Group durch die kürzliche Einführung eines CLA vermutlich nicht mehr daran gebunden. Ein Fork, der bereits nach dem Versuch der Einführung von Telemetrie gestartet war, wurde nun umbenannt und erweitert, indem er unterbindet, dass Crash-Reports gesendet und Update-Checks vorgenommen werden. Dazu wurde aller Code, der Networking betrifft entfernt. Denn eigentlich braucht Audacity keinen Zugang zum Internet.

Die neue Datenschutzbestimmung wird die Maintainer der Distributionen auf den Plan rufen, die Audacity in dieser Form kaum in die Repositories lassen werden. Damit dürfte Audacity in dieser Form in Linux am Ende sein. Schade drum.

Kommentare

27 Antworten zu „Audacity schießt sich endgültig ins Abseits“

  1. Avatar von Wkh
    Wkh

    Kann man dann statt 3.0.3 die Version 3.0.2 noch verwenden oder ist das auch schon bedenklich?

  2. Avatar von Eirik
    Eirik

    Ist der Fork foss_audacity schon wieder Geschichte? Alle Links, sogar über Suchmaschinen, führen ins Leere 🙁

    1. Avatar von Ferdinand

      Der Link in der News funktioniert und führt zu einem erweiterten und umbenannten Fork. Zumindest steht es so in der News 🙂

      1. Avatar von Eirik
        Eirik

        Oh, habe ich doch irgendwie überlesen… Hatte den Link aus den alten Meldungen, die ich mir vorhin nochmal durchgelesen habe. Danke.

        1. Avatar von Ferdinand

          Kein Problem 🙂

  3. Avatar von Urs Pfister

    Fragt sich einfach, wohin die Reise gehen wird. Ein Fork alleine mit gleichem Namen dürfte wohl kaum reichen.

    Nebenbei gefragt, gibt es für Linux Alternativen? Darf ruhig auch ein enfacher Editor sein, wobei Aufnahme schon möglich sein müsste. Und ja, es sollte auch Open Source sein.

    1. Avatar von Ferdinand

      Ein neuer Name ist wohl eher schwierig, wie man an der Geschichte von LibreOffice und OpenOffice sieht. Mit einfachen freien Aufnahmetools ist es schwierig, mir fällt spontan keine ein, was die Lücke füllen könnte.

      1. Avatar von no one
        no one

        Die Forks werden kaum eine andere Wahl haben, sonst droht am Ende eine Abmahnung wegen verletzter Trademarks.

        1. Avatar von tuxnix
          tuxnix

          Das wäre juristisch ein sehr interessanter Streit.
          Mal angenommen diese Muse-Group hat jemandem die Admin Rechte auf Github und die Markenrechte am Logo abgekauft aber die Gemeinschaft der Entwicklern, die den meisten Code repräsentieren und damit das geistige Eigentum besitzen, folked mit gleichem Namen.

          Dann müsste die Muse-Group klagen und hätte meiner Meinung nach sehr schlechte Karten hier zu gewinnen.

          Stell dir vor, jemand kauft einem Hausmeister die Schüssel ab und kommt vielleicht auch noch an die Besitzurkunde vom Logo. Gehört ihm dann automatisch die ganze Firma?

          Das dreiste Vorgehen der muse-group zeigt mir, dass man hier Tatsachen schaffen will indem man die Entwickler mit einer CLi einschüchtert und vertreibt.

          Was außer Admin-Rechten hat die Muse-Group überhaupt?
          Vor Gericht müssten sie belegen, dass ihnen auch der Code gehört.

          1. Avatar von no one
            no one

            Sowohl die Marke, also Name, Logo etc, als auch das Github-Repository sind vollkommen unabhängig vom GPL-Code im Repository. Da hat niemand irgendwelche Ansprüche, nur weil er Code beigetragen hat.

            Und natürlic haben sie in erster Linie den Namen und die Kontrolle über das Repository gekauft, aber anscheinend reicht das doch.

    2. Avatar von tuxnix
      tuxnix

      Alternativen:
      Wenn es nur um die Aufnahme geht: arecord 😉
      Ansonsten wäre da auch noch Ardour zu empfehlen.

      1. Avatar von Ferdinand

        Bei Ardour kommt aber JACK ins Spiel. Ich hoffe, das wird mit PipeWire einfacher und transparenter.

        1. Avatar von Graf Zahl
          Graf Zahl

          Hi Ferdinand,

          kannst Du mir kurz erklären, was mit „transparent“ hier gemeint ist? In einem anderen Beitrag ging es mal um eine „Netzwerkimplementierung?“ und ob diese etwas transparent umsetzt. Stichwort: Netzwerktransparenz?

          Was meint der Begriff in diesem Kontext? Danke und schönen Tag noch.

          1. Avatar von Ferdinand

            Ich meinte damit, dass JACK mit PipeWire für den Anwender hoffentlich besser zu verstehen ist, indem er versteht, was JACK wie macht.

          2. Avatar von Graf Zahl
            Graf Zahl

            Alles klar, danke, so habe ich das auch verstanden. Also eher im Sinne von sichtbar und verständlich. War verwirrt, weil Wikipedia z.B. zu Netzwerktransparenz was von „verstecken“ und „unsichtbar“ meldet. Dachte der Betriff ist in dem Bereich Sofware/System vielleicht etwa anders zu verstehen.

        2. Avatar von tuxnix
          tuxnix

          Ardour läuft sogar auch mit Alsa und Pulsaudo.

          1. Avatar von Ferdinand

            Gut zu wissen.

          2. Avatar von Andre
            Andre

            Ja, aber mit für Musiker inakzeptablen Latenzen.

        3. Avatar von Naja
          Naja

          Ja, wird es. Ardour läuft bei mir unter Mint 20 problemlos mit pipewire.

          Allerdings bietet Ardour zwar eine wirklich gutes Audiostudio, aber die ganzen netten kleinen Filter und Plugins von Audacity, mit denen schnell mal eine Datei gepimpt werden kann, bringt es so nicht mit. Die beiden Programme haben schlicht verschiedene Zielgruppen.

  4. Avatar von tuxnix
    tuxnix

    @Wkh
    Schau mal welche Version deine Distribution ausliefert.
    Meistens gibt es noch die 2.4 und ich denke mal, dass die Maintainer jetzt erst einmal abwarten und keine neuen Versionen einspielen.

  5. Avatar von blackcrack

    > Niemand, dem seine Daten etwas wert sind, wird Audacity künftig noch mit der Mistgabel anfassen können.

    steh ich voll dahinter !
    Die fiXXXX genauso schlecht wie cam4.com bei denen steht beim Seiteaufrufen und cooky setzen:
    > Wenn Sie sich entscheiden, diese Website zu betreten, versichern Sie unter Eid und vorbehaltlich
    > der Strafen für Meineid gemäß Titel 28 USC §1746 und anderen anwendbaren Gesetzen, dass ALLE > der folgenden Aussagen wahr und korrekt sind:

    • Ich habe die Volljährigkeit in der Gerichtsbarkeit erlangt, in der ich beabsichtige, sexuell explizites Material anzusehen;
    • Es ist mein Wunsch, sexuell explizites Material zu empfangen und anzusehen;
    • Ich glaube, es ist mein unveräußerliches Recht als Erwachsener, sexuell explizites Material anzusehen;
    • Ich werde das sexuell explizite Material nicht an Minderjährige weitergeben. Ich schaue es mir für meinen persönlichen Gebrauch an;
    • Ich glaube, dass sexuelle Handlungen zwischen einwilligenden Erwachsenen weder obszön noch anstößig sind;

    > …
    >

    und so weiter sowie:

    > Diese Seite kooperiert aktiv mit den Strafverfolgungsbehörden in allen Fällen, in denen eine illegale Nutzung des Dienstes vermutet wird, insbesondere im Fall der Nutzung des Dienstes durch Minderjährige

    könnte auch von auch von der MuseGroup benutzt werden.. Die reine Benutzung und Vermutung zur strafbaren Handlung..

    p.s. vorschau wär gut 😉

  6. Avatar von Alex
    Alex

    Klar kann man sich jetzt wieder darüber aufregen. Allerdings war mir im Prinzip schon seit dem Artikel hier

    https://linuxnews.de/2021/05/audacity-wird-vom-muse-group-uebernommen/

    Anfang Mai klar, in welche Richtung sich das entwickeln wird. Der Typ wollte sich halt ins gemachte Nest setzen und Melken.

    Jetzt ist die Community dran. Es werden wohl eine Reihe Forks erstellt werden, von denen sich ein oder zwei in den kommenden Jahren als Nachfolger herauskristallisieren werden. Bis dahin wird es für uns Linux-Nutzer wohl auch die alte Audacity-Version noch tun.

    Vielleicht nehmen Teile der Community das jetzt ja auch zum Anlass die veralteten Teile von Audacity in dem neuen Fork mal zu überarbeiten? Wer weiß, vielleicht profitieren wir am Ende sogar von der „Modernisierung“ durch den Fork? Immer optimistisch sein Leude 😉

  7. Avatar von Marcel S.
    Marcel S.

    Warum es unter 13 Jährige nicht verwenden dürfen, ist glaube ich COPPA (deutsch: „Gesetz zum Schutz der Privatsphäre von Kindern im Internet“) geschuldet. Laut COPPA dürfen von unter 13 Jährigen Kindern keine Personenbezogenen Daten gesammelt werden. YouTube hat damals auch einen auf den Deckel bekommen deswegen.

  8. Avatar von Michael
    Michael

    Tolle Website, ‚muse group‘! Kein Impressum; (für mich) nicht festzustellen, wo der Laden eigentlich ist. Im rechtsfreien Raum? Und dann gibt es noch wenigstens eine weitere Muse Group, deren Domain nicht ‚mu.se‘ ist, sondern ‚musegroup.co‘ ist. Die existieren einfach so nebeneinander? Oder sind das zwei Seiten derselben Medaille? Sehr dubios.

    1. Avatar von Ferdinand

      Der Maintainer von Tenacity ist wegen Bullying aus 4chan zurückgetreten. Ich habe das recherchiert und eine News dazu verfasst, hab mich aber gegen die Veröffentlichung entschieden, um solchen Umtrieben keine Bühne zu bieten.

  9. Avatar von Atalanttore
    Atalanttore

    Hauptniederlassung in Russland ist schon ein Standortnachteil für ein international agierendes Unternehmen.

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