Audacity: Muse Group rudert zurück

Audacity
Audacity Logo | Autor: Vaughan Johnson,2007 | Lizenz: GPL

Kürzlich machten sich die neuen Besitzer/Entwickler von Audacity mit einem Pull Request bei der Community unbeliebt, der bei dem beliebten Audio-Editor Telemetrie einführen wollte. Audacity wurde Anfang Mai unter unklaren Umständen von der Muse Group übernommen, die künftig die Entwicklung leiten wird.

Kommando zurück

Der Zorn der Community richtete sich vor allem gegen die dabei verwendeten Tools Google Analytics und Yandex Metrica. Vor drei Tagen meldete sich Martin Keary, Vorstandsvorsitzender der Muse Group und auf YouTube und Twitter als Tantacrul bekannt, und erklärte auf GitHub, man ziehe den Pull Request zur Einführung von Telemetrie zurück.

Der Pull Repuest #835 mit den Plänen zur Einführung von Telemetrie wird nicht umgesetzt. In Bezug auf Funktionen, die eine Vernetzung erfordern, soll an dessen Stelle eine Fehlerberichterstattung und die Möglichkeit für Audacity, nach Updates zu suchen, eingeführt werden. Alle gesammelten Daten aus der Fehlerberichterstattung und der Prüfung auf Updates sollen bei der Muse Group in der EU gehostet werden, sodass keine Google- oder Yandex-Analysen mehr erforderlich sind.

Erkenntnisgewinn

Naidenov entschuldigt sich für die Unruhe, die die Erstellung und anschließende Entdeckung von PR #835 ohne vorhergehende Diskussion in der Community ausgelöst hat. Das sei ein schlechter Kommunikations- und Koordinationsfehler gewesen. Er betont weiter, dass Muse Group absolut kein Interesse daran habe, persönliche Daten zu sammeln oder zu verkaufen und dass Audacity immer frei und Open Source sein wird. Die Reaktion auf PR #835 habe bei Muse zu der Erkenntnis geführt, dass die Bequemlichkeit der Nutzung von Yandex und Google im Widerspruch zu der öffentlichen Wahrnehmung von Vertrauenswürdigkeit steht.

Plädoyer für Telemetrie

Im Folgenden erläutert Naidenov die Gründe, warum Telemetrie hilfreich bei der Entwicklung sein kann. Man habe erwartet, dass die Tatsache, dass es als Opt-in geplant war, ausreichend sei, das berechtigte Interesse am Schutz der Privatsphäre zu befriedigen. Da dies nicht der Fall sei, fällt Telemetrie weg. In Zukunft will man bei Muse Group überlegen, ob es akzeptable Alternativlösungen gibt, die das gleiche Ziel erreichen könnten. Feedback zu diesem Punkt ist »sehr willkommen«. Naidenov verspricht darüber hinaus mehr Kommunikation über die Ziele für Audacity in der näheren Zukunft.

Kann man Open Source kaufen?

Ein weiterer Punkt, der die Community in der Diskussion umgetrieben hat, ist die unklare Situation um den Erwerb oder die Übernahme von Audacity durch Muse Group. Hierzu gibt es bisher keinerlei Informationen. In der Diskussion kam daher die Frage auf, ob es überhaupt möglich sei, dass ein Unternehmen eine freies, unter der GPL stehendes Projekt kauft. Was wurde hier gekauft? Markenzeichen und Logo oder Code? Sind bisherige Audacity-Entwickler auf der Gehaltsliste bei Muse Group?

Community am längeren Hebel

Viele Fragen, die nun auf Antwort warten, wenn das Vertrauen in Audacity wieder hergestellt werden soll. Zwei Dinge hat Muse Group hoffentlich gelernt: Wenn man im Vorfeld mit der Community spricht, hat man die besten Chancen, zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. Tut man das nicht, erhält man einen Scherbenhaufen, der, wenn überhaupt, nur mit viel Zeit und Geduld wieder zu kitten ist.

Kommentare

16 Antworten zu „Audacity: Muse Group rudert zurück“

  1. Avatar von Dominic
    Dominic

    Das Vertrauen ist vorerst dahin, deshalb bin ich gespannt wie es weitergehen wird. Eventuell war es tatsächlich nie Böse gemeint – im Sinne der Datennutzung für die Optimierung, aber ohne Weiterverkauf der (anonymisierten) Daten zur Audacitynutzung.
    Dafür spricht u.a. das Portfolio und die Firmengeschichte. Dagegen spricht die Art und Weise (plump als Pull Rquest) und die gewählten Partner (angeblich aus „Bequemlichkeit“).
    Ich persönlich freue mich über und auf den Fork, so hat man Gewissheit und bleibt unabhängig von einer Firmengruppe.

    1. Avatar von Ferdinand

      Ich denke auch nicht, dass es böse gemeint war, aber solcher Dilettantismus im Umgang mit der Community wird immer bestraft. Und das ist auch gut so. Man muss sich manche Pappenheimer halt erst mal erziehen.

    2. Avatar von kamome
      kamome

      Für „nicht böse“ spricht auch das Opt-In.

  2. Avatar von Dominic Dedering
    Dominic Dedering

    Den Punkt „Kann man Open Source kaufen?“ finde ich wahnsinnig spannend. Die richtigen Fragen sind im Absatz dazu enthalten – sehr guter Artikel. Bleibt zu hoffen, dass man eines Tages Antworten darauf findet. Zum Fall Audacity; aber auch allgemein.
    Die Muse Group (wie sie sich selbst nennt) versteht es jedenfalls, ein Impressum auf der Webseite zu vermeiden und den wahren Firmennamen zu verschleiern. Wer lange sucht findet schließlich MuseCY Holdings Ltd. in einem Fließtext. Diese Limited Corporation ist seit Juli 2020 registriert auf die Adresse

    • Σπύρου Κυπριανού, 84,
    • 4004, Λεμεσός, Κύπρος
    • Cyprus

    Dazu werden die Gesellschafter AGP DIRECTORS LTD und AGP SECRETARIES LIMITED genannt. Einen etwas dubiosen Eindruck macht dieses Geflecht auf mich. Ganz einfach auch, weil mir das Geschäftsmodell nicht klar wird: Wie möchte man mit Audacity Geld verdienen? Denn das ist mit Ultimate Guitar und den anderen Apps offenbar das erklärte Ziel.

    1. Avatar von no one
      no one

      Das ist vermutlich einfach eine Briefkasten-Firma zur Steueroptimierung und die beiden AGP-Dinger sind Teil der Anwaltskanzlei, die das betreut.

      Ob sie mit Audacity direkt Geld verdienen wollen, weiß ich nicht, allerdings haben die Firmen der Gruppe zumindest mal alle was mit Musik zu tun und vielleicht ist das dann irgendwie von Vorteil.

    2. Avatar von tuxnix
      tuxnix

      Kann man FOSS-Projekte kaufen? – Das ist die Frage.
      Ich wage eine Antwort und die lautet: Nein!

      Aber, man kann versuchen die Leitung zu übernehmen und/oder Projekte kaputt zu machen oder in gewünschte Bahnen zu lenken. Auffällig ist doch, welche Projekte in den letzter Zeit auffällig wurden.

      Die Linux Kernelentwicklung – Ein code of conduct muss her und Linus steht wg. schlechten Benehmens zur Debatte.
      Die FSF – Ein Machtkampf um die Leitung des Projekts mit einer Diskussion über Kinderschändung.
      GIMP – Das Akronym könnte die Gefühle Behinderter verletzen und deshalb muss ein Fork her.
      Audacity – Hier ist die Leitung des Projekts offenbar schon in „guten“ Händen und zufällig sollen dann die Daten der User an den global herrschenden Medienkonzern übermittelt werden.

      Zufällig sind all diese Projekte in Schlüsselbereichen angesiedelt.
      Ja, das Geschäftsmodell der MuseCY Holdings Ltd. erscheint mir auch recht schleierhaft.
      Will sagen woher kommt das viele Geld und wie will man mit seinem Engagement, die populärsten freien Softwareprojekte rund um Ton und Musikbearbeitung zu übernehmen denn eigentlich Geld verdienen?

      1. Avatar von no one
        no one

        Das ist allerdings keine Verschwörung gegen GNU/Linux/OpenSource, sondern ein Vordringen realweltlicher Standards in diese Bereiche. Mit Torvalds (früherer) Ausdrucksweise würde man so ziemlich überall Probleme kriegen und Stallman wäre überall untragbar.

      2. Avatar von Hermann Salber
        Hermann Salber

        Die GIMP Diskussion ist ja wirklich unnötig. Das Projekt entwickelt sich eh dermaßen langsam, wenn es jetzt noch einen offiziellen Fork nur wegen des Namens gibt (nicht Glimpse, sondern ein offizieller) wird sich da gar nichts mehr entwicklen.

        Ziel von Forks sollte es sein, dass Produkt für Nutzer zu verbessern und sich nicht (nur) für politisches Wording einsetzten. Nach der Logik müsste es dann für Glimpse ja auch ein Fork geben, da Glimpse den Darkmode unterstützt und dies die Gefühle von Menschen anderer Hautfarbe verletzen könnte. Ich schlage daher einen Regenbogenhintergrund vor, wer macht mit beim Fork?

        1. Avatar von Roland
          Roland

          Oh nein, bitte nicht auch noch das! Ich habe eine angeborene Farbfehlsichtigkeit und fühle mich immer hart getriggert, wenn mir Leute mit Regenbogen-GUIs und bunten Schrifthintergründen kommen. Ich brauche gute Kontraste, um Software ordentlich nutzen zu können m( Und jetzt schreibt bitte nicht, dass ich dann nicht Teil der GIMP-Zielgruppe bin. 😉

      3. Avatar von Tux
        Tux

        Auch ich hege den Verdacht, dass seit einiger Zeit eine konzentrierte Kampagne stattfindet, um gegen freie Software und vor allem die lästige GPL vorzugehen.
        Die Konzerne wollen alles kontrollieren und den letzten Cent rausquetschen. Freie Software und die GPL sind denen da nur ein Dorn im Auge.

        1. Avatar von tuxnix
          tuxnix

          In der Welt der Konzerne ist das doch das ganz normale Vorgehen. Im Kampf um Marktanteile scheut man sich wenig und freie Software ist doch noch bedrohlicher als die Konkurrenz.

    3. Avatar von viebrix
      viebrix

      Ich kenne ja die anderen Apps nicht, aber wenn diese alle mit Musik zu tun haben, macht es für mich schon Sinn.
      Eventuell möchte man Audacity in diese anderen Produkte einbauen, oder aber einen Gesamtprozess erstellen, welcher diese Apps mit Audacity verbinden. Natürlich möchte man da auch sicherstellen, dass Audacity dann all das liefert, dass benötigt würde.

      1. Avatar von Dominic
        Dominic

        Hätte man dafür „kaufen“ müssen oder genügt eine Zusammenarbeit mit den Entwicklern der freien Software, die eine Schnittstelle einbringen und zur Verfügung stellen?

  3. Avatar von Tux
    Tux

    Ich frage mich, ob die Leute mit Matomo/Piwik hätten leben können.
    Google und Yandex hingegen sind definitiv nicht zu trauen.

    1. Avatar von kamome
      kamome

      Gegen Opt-In in Kombination mit Matomo spräche doch nun wirklich nichts.

  4. Avatar von detlef-s
    detlef-s

    Da war die Community doch erfolgreich, wenn der neue Eigentümer nun doch eine Rolle Rückwerts macht. Aber kann man Solchen Typen noch vertrauen? Ich denke, der wird es wieder versuchen, waten wir es ab!

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