
Die letzten Wochen haben an einigen Stellen gezeigt, dass sich das Debian-Projekt einer Reihe von schwierigen Herausforderungen gegenüber sieht. Dabei wird das Meistern dieser Probleme nicht einfacher dadurch, dass Debian eine demokratische Ausrichtung hat, beziehungsweise den Prinzipien einer Do-ocracy folgt, ohne dass jemand an der Spitze die Marschrichtung vorgibt.
Veraltete Werkzeuge
Zunächst kritisierte der Entwickler Michael Stapelberg, der mehr als zehn Jahre lang eine Reihe von Paketen innerhalb von Debian betreut hatte, das Projekt. In einem Blogeintrag, in dem er seinen Rückzug erklärte, mahnte er, Debians Werkzeuge seinen veraltet und nicht effektiv genug.
Auch die Tatsache, dass sich in den ersten beiden Wochen der Wahlperiode kein Bewerber gemeldet hatte ist ein Novum. Dass sich dann in der Verlängerungswoche gleich fünf Kandidaten bereit erklärten, das stressige Ehrenamt zu übernehmen, lässt dagegen Hoffnung zu.
Nachlassende Relevanz
In seiner Plattform zur Wahl zum Debian Projekt Leader (DPL) kritisiert Langzeit-Debianer Martin Michlmayr das Projekt in ähnlicher Weise. Vor 10 – 15 Jahren sei Debian in einer existentiellen Krise gewesen, was seine Relevanz im Reigen der Linux-Distributionen angeht. Das sei zum einen durch die Einführung von Ubuntu, andererseits durch eine Abwanderung zu macOS bedingt gewesen.
Wie vor 20 Jahren
Michlmayr bestätigt Stapelbergs Analyse, sieht die Probleme aber als noch größer an. Die Open-Source-welt habe sich in den letzten 5 – 10 Jahren in vielerlei Hinsicht verändert. Trotzdem agiere Debian in weiten Teilen wie vor 20 Jahren.
Kaum Innovation
In dieser Zeit sei Debian ständiger Innovator gewesen und habe für die damalige Zeit aufregende Dinge wie Paketmanager und automatische Upgrades eingeführt und Pakete für mehr als 10 Architekturen bereit gestellt. Als einzige bedeutende Innovation der letzten Jahre bei Debian nennt Michlmayr reproduzierbare Builds. Diese lösten ein wichtiges Problem und die Idee habe sich über Debian hinaus auf die gesamte FOSS-Welt ausgebreitet.
Nicht entscheidungsfreudig
Das schreibt Michlmayr, der bereits in 2003 und 2004 das Amt des DPL innehatte, der Unfähigkeit des Projekts zu, in der schnelllebigen Zeit Entscheidungen zeitig zu treffen und umzusetzen. Projektmitglieder hätten Angst, weitreichende Änderungen auch nur vorzuschlagen, weil die oft toxische Diskussionskultur und die resultierenden Flamewars die Umsetzung von gefundenen Lösungen zu sehr erschweren. Michlmayr ist der Meinung, dass Debian im Laufe der Jahre eine Reihe von Anti-Verhaltensmustern entwickelt hat, von denen das Projekt weggehen muss.
Probleme lösbar
Dabei sei Debian in der Welt der Server, bei Containern und in der Cloud so relevant wie nie. Deshalb glaubt er, die Probleme seien lösbar und sieht die Rolle des DPL dabei als Vermittler, der Leute zusammenbringt. Joerg Jaspert, Mitbewerber und ebenfalls Debian-Urgestein, sieht das ähnlich, wenn er schreibt: »Die Aufgabe des DPL ist es nicht, technische Lösungen für die Probleme des Projekts zu finden, sondern anderen zu ermöglichen, Herausforderungen zu meistern.
Die Wahlplattformen aller Kandiaten sind auf der Webseite zur Wahl des DPL einsehbar. Es bleibt zu hoffen, dass nach vielen Anregungen der letzten Zeit das Amt des DPL nicht länger als One-Man-Show begriffen wird, sondern ein Team die Aufgaben unter sich aufteilt und effektiv angeht.
Schreibe einen Kommentar