Der Abgang von CentOS und die Folgen

CentOS Stream

Kürzlich wurde verkündet, dass die beliebte Distribution CentOS in ihrer bisherigen Form als binärkompatibler Klon von Red Hat Linux Enterprise (RHEL) keine Zukunft mehr hat. Ab Ende 2021 wird das dem Rolling Release-Prinzip folgende CentOS Stream offiziell an die Stelle von CentOS treten und damit die Positionierung von Fedora, RHEL und CentOS/CentOS Stream in Red Hats Ökosystem neu ordnen. CentOS Linux 8, als ein Rebuild von RHEL 8 wird Ende 2021 auslaufen. CentOS Stream übernimmt danach den Platz von CentOS, dient aber als Upstream(Entwicklungs-)Zweig von RHEL.

Bestürzung und Kritik

Bisher war Fedora die Experimentierküche für RHEL und CentOS eine zu RHEL kompatible Distribution für Anwender, die keinen Support benötigen. Die Konstellation CentOS in der Entwicklung und RHEL in der Produktion wird nun für viele Anwender nicht mehr funktionieren. Hing CentOS immer etwas hinter RHEL zurück, so ist CentOS Stream der jeweiligen aktuellen Version von RHEL künftig etwas voraus.

Die Nachricht löste Bestürzung und Kritik aus und wie bei Linux üblich ließen Pläne für Forks nicht lange auf sich warten, denn Tausende von Firmen werden bis spätestens 2024 (dem Support-Ende von CentOS 7) eine neue Linux-Distribution suchen müssen. Red Hat denkt zwar hier über eine Verlängerung nach, aber entschieden ist noch nichts. Die Unterstützung für CentOS 8 endet bereits Ende 2021 anstatt planmäßig 2029. Anwender, die hier mit 10 Jahren Unterstützung gerechnet haben, fühlen sich zu Recht betrogen. Falls Red Hat beabsichtigt hatte, diese Klientel kostenpflichtig an sich zu binden, viel Glück damit.

Andererseits wird die Meinung vertreten, auch CentOS Stream sei stabil genug für den produktiven Einsatz. Als Argument dafür führt etwa Red Hats CTO Chris Wright an, Facebooks Millionen von Servern würden auf einem Betriebssystem auf der Basis der CentOS Stream-Repositories laufen oder seien auf dem Weg dorthin. Egal, wie man darüber denkt, Konsens ist, dass mehr Zeit hier viele Probleme hätte verhindern und den Unmut minimieren können.

Rocky Linux is a community enterprise Operating System designed to be 100% bug-for-bug compatible with Red Hat Enterprise Linux now that CentOS has shifted direction.

Gregory M. Kurtzer

Bei den angekündigten Forks stechen zwei heraus. Nur Stunden nach Red Hats Ankündigung wurde die Idee zu Rocky Linux vorgestellt. Initiiert wird es unter anderem von Gregory M. Kurtzer, dem ursprünglichen Gründer und Entwickler von CentOS. Spätestens im Sommer 2021 will Kurtzer mit der Community eine erste Version veröffentlicht haben. In der FAQ auf der Webseite steht zur Einordnung der Distribution, Rocky Linux ziele darauf ab, »wie zuvor bei CentOS, als Downstream-Build zu fungieren und Releases zu veröffentlichen, nachdem sie vom Upstream-Anbieter hinzugefügt wurden, nicht zuvor.

Der zweite Fork kommt vom etablierten Linux-Distributor CloudLinux, dessen gleichnamiges OS auf RHEL/CentOS basiert und sich an Hosting-Anbieter und Unternehmen richtet. Das vorläufig als Projekt Lenix titulierte Projekt will ein »Open-Source- und Community-getriebener RHEL-Fork« sein und im ersten Quartal 2021 ein erstes Release vorzeigen. Eine Migration von CentOS soll problemlos möglich sein. Einer Umfrage zufolge, auf die 1.500 Personen geantwortet haben, warten 61,5 Prozent der CentOS-Anwender auf einen RHEL-Fork, während die restlichen 38,5 Prozent vorhaben, sich auf Debian, Ubuntu und OpenSUSE zu verteilen. Dabei hat ein Fork den Vorteil der wesentlich leichteren Migration. Oracle und Ubuntu buhlen derweil aktiv um die verprellten CentOs-Nutzer.

Was wird aus Fedora?

Bleibt die Frage, welche Rolle Fedora in Red Hats Neuordnung der Dinge einnimmt, denn bisher waren es die Fedora-Hüte, die den Downstream von RHEL darstellten. Um nochmals Chris Wright zu zitieren, sitzt CentOS Stream jetzt »zwischen den Innovationen des Fedora-Projekts und der Produktionsstabilität von RHEL«. Matthew Miller Red Hats Projektleiter für Fedora beeilte sich klarzustellen, dass es keine Pläne gebe, die Stellung von Fedora im Verhältnis zu RHEL zu ändern:

Fedora integriert Tausende von „Upstream“-Open-Source-Projekten in eine einheitliche Distribution mit einem sechsmonatigen Veröffentlichungsrhythmus, und von Zeit zu Zeit nimmt Red Hat diese Sammlung, forkt sie und produziert RHEL“.

Matthew Miller

Miller beschreibt die Rolle von CentOS Stream in diesem Zusammenhang als »eine kontinuierliche Weiterentwicklung von RHEL nach dem Fork von Fedora« und fährt fort: »Alles, was in CentOS Stream kommt, ist eigentlich bereits für die Freigabe an zahlende RHEL-Kunden freigegeben. Es wird nur in einem Stream veröffentlicht und nicht in einem großen Dump alle sechs Monate. Natürlich gebe es eine gewisse Lernkurve, aber die Absicht sei, dass dieser Stream so stabil ist wie das freigegebene RHEL-Produkt, weil das […] den Wert von CentOS Stream für Red Hat ausmache.«

Fedora bleibt Red Hats Hexenküche

Für Fedora sieht Miller keine Änderungen, da Fedora über seinen Beitrag zu RHEL hinaus eine eigenständige Distribution mit zwar vielen Schnittmengen mit RHEL sei, aber darüber hinaus auch viele Entwicklungen vorantreibe, die nicht direkt im Fokus von Red Hat lägen. In diesem Zusammenhang erwähnt Miller das neue Fedora-Projekt Fedora ELN, was für Enterprise Linux Next steht und bei Fedora als Special Interest Group (SIG) betrieben wird. Miller denkt, es sei durchaus möglich, dass im nächsten Jahr CentOS Stream 9 auf dieser Grundlage gebaut werden wird. Zudem sieht Miller durch die Neuordnung eine Chance, Fedora Server wieder neues Leben einzuhauchen.

Kommentare

15 Antworten zu „Der Abgang von CentOS und die Folgen“

  1. Avatar von Marco
    Marco

    Die Entscheidung RedHats macht meiner Meinung nach Sinn:

    • Fedora wird die „Hexenküche“, in der völlig neue Entwicklungen ausprobiert werden.
    • CentOS ist dafür gedacht, um fertige Entwicklungen im großen Feldtest auszuprobieren.
    1. Avatar von Ferdinand

      Meine persönliche Kritik zielt auch eher auf die Art, wie die Änderung durchgezogen wird. Anwendern, denen man 10 Jahre Support zugesagt hat, nach 2 Jahren vor die Tür zu setzen ist nicht die feine Art, egal wie Red Hat jetzt versucht, das abzufedern.

      1. Avatar von anonym
        anonym

        Auch wenn es für die Nutzer keinen großen Unterschied mehr macht, war diese Zusage so angeblich nie beabsichtigt: https://arstechnica.com/gadgets/2020/12/centos-shifts-from-red-hat-unbranded-to-red-hat-beta/?comments=1&post=39483237

        „[…]as best I understand this right now, what happened here was basically a cock-up. Someone in the CentOS community, assuming everything for CentOS 8 would be the same as before (which was a perfectly reasonable assumption), put the 2029 EOL date on a wiki page. From there it made its way to some other places, including the official download page, where it was present for a while. I don’t know the ins and outs of exactly who added it where when, but it seems like it was never actually *intended* – we never meant to declare CentOS 8 support would run till 2029 because this whole thing was under consideration. But it did, mistakenly, get out there. Speaking personally I agree it sucks that we had that date up and it’s now being changed.“

        Jedenfalls ist die Art der Ankündigung insgesamt eine Katastrophe.

        1. Avatar von Ferdinand

          Ja, das machts nicht besser.

      2. Avatar von Günther
        Günther

        Von einem „zugesagten“ 10 jährigen Support kann objektiv nicht die Rede sein, eher von einem in Aussicht gestellten Support, denn CentOS Benutzer sind ja schließlich keine Kunden, gegenüber denen irgendeine Verpflichtung oder auch Verantwortung besteht…
        Ich für meinen Teil begrüße mit CentOS Stream den „kontinuierlichen“ Upgrade zwischen den RHEL Minor-Releases. Mit dem z.T. um ein bis zwei Monate gegenüber dem aktuellen RHEL hinterher hinkenden CentOS Linux gab es bei Benutzung z.B des EPEL Repo des öfteren das Problem, dass in letzterem bereits Updates für RHEL enthalten waren, die nicht mehr zu den obsoleten Paketen von CentOS kompatibel waren.

    2. Avatar von anonym
      anonym

      Zwei kleine Anmerkungen:

      • Fedora bleibt damit genau das, was es bisher auch schon war und „Hexenküche“ halte ich für etwas übertrieben.
      • CentOS Stream bietet zusätzlich auch die Möglichkeit, Änderungen der nächsten RHEL-Version zu sehen und gegebenfalls Pull Requests einzureichen. Die Entwicklung von RHEL wird damit öffentlicher.
    3. Avatar von Günther
      Günther

      Der zweite Punkt, den CentOS Stream nun erfüllt, ist ein eindeutiger Mehrwert für die RHEL Kunden, die nun neuere Programmversionen vorab testen können. Das teilweise um Monate hinter dem RHEL Original liegende CentOS Linux hatte diesbezüglich überhaupt keinen Mehrwert.

      1. Avatar von tuxnix
        tuxnix

        Deine Argumentation ist etwas unschlüssig. Stream mag durchaus seinen Nutzen haben, aber das macht deshalb eine stabile Ausgabe noch lange nicht überflüssig.

        Man könnte überspitzt denn auch sagen:
        Und wer CentOS Stream erfolgreich getestet hat, kann anschließend auf die stabile Ausgabe wechseln und es als Rocky Linux noch weitere 10 Jahre lang nutzen.

        Für RHEL Kunden hast du natürlich Recht, aber die mussten CentOS auch noch nie ausprobieren. Und dass eine Kopie nicht jünger als das Original sein sollte versteht sich für mich auch von selbst.

    1. Avatar von Jochen Geyer
      Jochen Geyer

      Nachdem der Founder (Gregory Kutzer) des CentOS Projektes die Projektleitung im Rocky Linux Projekt übernommen hat, gehe ich von einer würdigen CentOS-Nachfolge aus.
      Ob das in einem Jahr zu schaffen ist, eine komplexe Infrastruktur hochzuziehen, mag ich noch nicht abschätzen.

      Aber ich wünsche dem Rocky Linux Projekt (bereits jetzt) viel Erfolg!

      https://rockylinux.org

  2. Avatar von tuxnix
    tuxnix

    Noch einmal ganz von vorne. Denn mache Leute haben sich schon angewöhnt die Welt nur noch aus dem Blickwinkel von Konzernen und ihren Interessen wahrzunehmen.

    Weil man niemanden davon ausschließt, hat auch Red Hat und IBM das Recht GNU/Linux zu benutzen und damit Kohle ohne Ende zu scheffeln. Wenn sie dann aber mit dieser Kohle offene Projekte aufkaufen um sie später zu beerdigen dann ist nur Recht und billig wenn sich diese neu gründen. Wie gesagt, jeder hat das Recht mitzumachen und beizutragen, aber selbst wenn ein Konzern sehr viel Code beiträgt gibt es ihm noch lange nicht das Recht den Code zu behalten.

    Leider kann der Name CentOS nicht mitgenommen werden. Denn was RH tatsächlich erworben hat ist das Recht am Namen des Projekts das Label.
    Mehr aber nicht.

    1. Avatar von perko
      perko

      Full ACK. Für mich ist das mit dem CentOS Stream ein Sturm im Wasserglas. Ich verstehe die Aufregung nicht. Wenn die CentOS Nutzer Geld bezahlen würden, dann OK. Aber CentOS ist eine Distribution, die gratis ins Haus fliegt, quasi für Null Euro Nullennullzig. Ich kann die Enttäuschung versthen dass CentOS8 Ende 2021 am Ende ist. Aber mehr auch nicht. Manche Kommentare zu diesem Thema sind wirklich erbärmlich.

      1. Avatar von tuxnix
        tuxnix

        Du verdrehst da etwas.
        In erster Linie ist es Red Hat die das Gemeinschaftswerk GNU/Linux für 0,00 nutzen und damit sogar eine Menge Kohle machen. Sie sind aber lediglich Besitzer von Markenrechten wie Red Hat oder CentOs nicht aber vom Quellcode. Man sollte dies nicht miteinander vertauschen.

    2. Avatar von Christoph
      Christoph

      Es hat ja einen guten Grund, warum die Leute CentOS einsetzen wollen und nicht etwa Debian oder Ubuntu? Gerade Debian hat sich gegenüber der Distributionen der „Konzerne“, welche „Kohle ohne Ende scheffeln“, in Punkto Sicherheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert… 😉

      1. Avatar von Sebastian
        Sebastian

        „in Punkto Sicherheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert“

        Worauf möchtest Du mit dieser Aussage anspielen?

        Ich kenne beides, Debian und CentOS, und schätze vor allem die Stabilität von beiden Linux-Distros. Bei Debian gefällt mir noch zusätzlich, dass es auf so viel unterschiedlicher Hardware läuft, doch haben meine Argumente Stabilität und hohe Hardwarekompatibilität natürlich weniger mit der Sicherheit eines Betriebssystems zu tun.

        Es mag sein, dass RedHat in ihrem Enterprise Linux besonders schnell und gründlich Sicherheitslücken stopfen.

        Doch wer hat bisher neutral untersucht, ob Sicherheitspatches tatsächlich schneller in CentOS aufgenommen wurden als in anderen Distros wie Debian, wenn sie einmal allgemein als kritische Lücken bekannt waren?

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