Endstation digitale Souveränität

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Es ist das Buzzword unserer Tage: Digitale Souveränität. Schon seit längerer Zeit reden nicht mehr nur Aktivisten darüber, sondern auch Politik und Medien bis zu den Tageszeitungen. Beschleunigt wird der Diskurs durch die aktuelle Corona-Pandemie, die tatsächlich das Digitale auf die Agenda setzt. Im Kern geht es dabei um die Frage, inwieweit die Länder Europas (in Form vom Individuum bis zur Gesellschaft) in der Lage sind, individuelle Kompetenzen zu besitzen und die äußeren Rahmenbedingungen für den souveränen Umgang mit digitalen Medien zu schaffen.

Das klingt akademisch, die Antwort erleben wir aber in der Praxis: Just am heutigen Montag sind viele Unterrichtsveranstaltungen, die »synchron« stattfinden sollten, an diversen deutschen Universitäten ausgefallen: Es liegt eine Störung der Webex Education Cloud vor. Fehlermeldungen höchster Priorität trudeln nun beim zuständigen Dienstleister ein. Die Universitäten können nur abwarten und Veranstaltungen verschieben. Ist das souverän?

Wer ist schuld?

Es wäre wenig fair, den Dozierenden einen Strick daraus zu basteln. Die individuellen Kompetenzen sind nach den zahlreichen Monaten der Online-Lehre sicherlich bei nahezu allen gegeben. Die Rahmenbedingungen passen allerdings nicht.

Cisco Webex stellt den Standard für Videokonferenzen dar. An einzelnen Tagen wurden 4,2 Millionen Meetings mit Webex veranstaltet. Webex ist im Prinzip proprietär, wenngleich eine solche Software natürlich nicht ohne zahlreiche Bestandteile freier Software auskommt. Hier ist Cisco auch durchaus aktiv in der Entwicklung. Trotzdem ist der Einsatz nicht ganz unproblematisch.

Dabei will ich gar nicht lange über Datenschutz schreiben. Dass es nicht unbedingt charmant ist, diesen (amerikanischen) Dienst zu nutzen, dürfte klar sein. Irgendwie arrangieren sich dann aber doch alle Beteiligten, wenngleich das mitunter zu interessanten Auswüchsen führt: Manche Unterrichtsmaterialien dürfen nicht gezeigt werden, Anwesenheit nicht geprüft…

Problem: Die Abhängigkeit bei SaaS

Viel größer wiegt das Problem der Abhängigkeit. Wenn Webex nicht läuft, läuft die Lehre nicht. Es ist der klassische Lock-In-Effekt der Software as a Service (SaaS). Und hier zeigt sich auch, dass Open Source alleine nicht (mehr) die Lösung ist. Natürlich reduziert das Prinzip »Public Money, Public Code« die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern und letztlich wahrscheinlich auch die Kosten. Viele Universitäten nutzen beispielsweise Moodle als Lernplattform. Doch auch hier traten im Einzelfall Probleme auf, wenn die Datenbanken überlastet sind. Diese können allerdings im Vergleich zur Software as a Service noch leicht auf einen anderen Server geladen werden, um die Verfügbarkeit wiederherzustellen.

Das geht nicht mit Videokonferenzsoftware, die als Cloudsoftware läuft. Die große Anzahl an benötigten Ressourcen macht das Bestehen von Open Source Software ohne angebundene Cloud in diesem Bereich auch schwierig: Zwar gibt es Jitsi und BigBlueButton, für das Betreiben sind aber gerade in höheren Skalen von einigen Hundert Teilnehmern sehr kluge Köpfe vonnöten. Und auch für andere Software gibt es oft gute Gründe, auf die Cloud zu setzen, wenngleich bei Weitem nicht für jede. Allerdings bedarf es dafür auch eines Angebots an offenen Clouds.

Das läuft allerdings den Interessen von Amazon, Microsoft und Google zuwider. Will man digital souverän sein, so braucht es nicht nur kompetente Köpfe vom Anwender bis zum Politiker, sondern auch offene Software samt »offener Clouds«. Es bleibt zu hoffen, dass das europäische Projekt »Gaia-X« diese Lücke schließt und auch auf den Ebenen davor nicht geschlafen wird.

Kommentare

9 Antworten zu „Endstation digitale Souveränität“

  1. Avatar von Stefan

    Ich bin nicht sicher, dass es an mangelnder IT-Kompetenz der Judikative liegt, dass so vieles aus der Spur läuft aber ganz bestimmt läuft der Querschnitt der Gesellschaft der technischen Entwicklung hinterher und der Abstand wird daber eher größer.

    Daher leite ich aus der Moorschen Gesetzmäßigkeit, dass Vosssche Gesetz ab: Jedes Jahr verdoppelt sich der Abstand der technischen Möglichkeiten zum Vermögen der Bevölkerung sich darauf einzustellen.

    1. Avatar von Robert
      Robert

      In Berlin arbeitete die Justiz (die selbst für die IT-Infrastruktur zuständig war, Richter sind schließlich unabhängig) bis vor Kurzem mit MS-Windows 95. Kritische Daten (Ermittlungsakten) wurden von den Richtern auf USB-Sticks durch die Gegend getragen und teilweise auf Privatrechnern bearbeitet. Soweit zum Thema „IT-Kompetenz der Judikative“.

  2. Avatar von Robert
    Robert

    Die deutsche Bahn (DB) hat vor Kurzem stolz verkündet, daß deren eigene Serverfarm aufgegeben wurden und alles in die Microsoft- und Amazon-Cloud ausgelagert wurde. Damit stehen jetzt alle DB-Kundendaten unter der Kontrolle amerikanischer Konzerne und amerikanischer Geheimdienste. „Digitale Souveränität“? Pfffft….

    1. Avatar von Jochen Geyer
      Jochen Geyer

      Die deutsche Bahn (DB) hat vor Kurzem stolz verkündet, daß deren eigene Serverfarm aufgegeben wurden und alles in die Microsoft- und Amazon-Cloud ausgelagert wurde.

      Hast du dazu etwas Offizielles und/oder einen Pressebericht?
      Konnte leider nichts Vernünftiges zu diesem Thema finden.

      Hintergrund:

      Die DBAG-Tochter „DB Systel GmbH“ ist für den Serverbetrrieb und einige Teile der Infrastruktur des Konzerns zuständig und setzte seinerzeit auf Europas größte Solaris Serverfarm.

      Aber nachdem Oracle um 2018 die Vetragsbedingungen für Oracle Solaris (ehemals Sun Solaris) geändert hat, waren diese wohl nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben.

      Wie man hört, behandelt Oracle mittlerweile Solaris sehr Stiefmütterlich …

        1. Avatar von Jochen Geyer
          Jochen Geyer

          Mich nervt dieser Trend alles in US Clouds zu werfen und kämpfe seit Jahren gegen diesen Trend an, leider schauen (die meisten) Entscheider lediglich auf die nackten Zahlen, ohne den wesentlichen Wert Datenschutz im Blick zu haben.

          Ich frage mich, was muss eigentlich nach dem von Snowden aufgedeckten Datenschutz-Gau noch passieren, bis Mächtige, Entscheider, aber auch die einfachen Nutzer von System und Services verstehen, das Datenschutz nicht lästig (und/oder teuer) ist?

          1. Avatar von Joseph
            Joseph

            Das ist von höchster Stelle so gewünscht:

            Ausspähung Deutscher durch die USA – Keine Ermittlungen in NSA-Affäre: Kritik am Generalbundesanwalt

            Wikipedia: „Der Generalbundesanwalt ist ein politischer Beamter. Er soll die kriminal- und sicherheitspolitischen Ansichten und Ziele der jeweils amtierenden Bundesregierung teilen und kann jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Er gehört der Exekutive an und untersteht der Dienstaufsicht des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV).“

            Dienstaufsicht = uneingeschränkt weisungsgebunden. Die angebliche „Kritik“ ist reine Augenwischerei. Da der Bundesanwalt ein politischer Beamter ist, bräuchte der nur eine Anweisung bekommen und keine „Kritik“.

  3. Avatar von Pfister2

    Ich staune auch immer wieder, wie wenig gerade Schulen und staatliche Behörden (kann nur die Situation in der Schweiz beurteilen) „autonom“ denken. Ist es jetzt wirklich so „verdammt“ schwer, einen lokalen Server aufzusetzen und zu betreiben? Sind Lösungen wie Teams jetzt wirklich so viel cooler als eine eigene Nextcloud-Instanz?

    In der Schulen wird ja nicht einmal mehr unterrichtet, was eine Datei ist, reicht doch auch, wenn alles in der Cloud ist? Die Tochter berichtet gerade, zwei Jungs hätten ein Foto des Lehrers in die Wolke geladen mit „Hallte die fresse“ (Gross/Kleinschreibung unkorrekt korrekt wiedergegeben).

    Am Elternabend berichtete eine eine Mutter, im Chat auf Whatsapp der ca. zehn Jahre alten Kinder gebe es Mobbing. Mein Einwand, Whatsapp sei erst ab 16 wird zurückgewiesen, die Kinder müssten den digitalen Umgang doch lernen. Mein Nachfragen, wie denn das funktionieren solle, wenn nicht mal Erwachsene das mit Anstand im Griff hätten, immerhin ein leises Nachdenken…

    Lichtblicke gibt es natürlich schon auch, früher hätte ich nie so komfortabel mit meinem Linux-Desktop arbeiten können und ein eigenes Medien-Archiv (das ohne Cloud auskommt), habe ich mir bzw. uns in den letzten Tagen auch gegönnt. Natürlich würde ich nun gerne auf „mein“ AVMultimedia verweisen, mit dem ich all dies sehr elegant — ganz ohne Wolke — bewerkstellige.

    Aber, ich habe auch gelernt, wir sind halt alle sehr bequem geworden. Daten sichern, das wird nur allzu gerne delegiert. Daten lokal zu speichern, zu wissen, was eine Datei ist, wieviel Speicherplatz etwas belegt, wie etwas etwas tiefer betrachtet funktioniert, all das erfordert am Anfang halt doch etwas mehr Aufwand wie Einsatz (das etwas viele etwas wäre dazu da auszudrücken, so viel wäre es dann auch wieder nicht).

    Nun haben alle Kinder in der Klasse Microsoft-Tablet. Im Vertrag, den ich unterzeichnen hätte sollen, stand, dass Firma X über Firma Y die Daten in der Cloud Z führt (die Schule selber hat alles delegiert). Mit viel Überzeugungskraft konnte ich „verhindern“, dass das Teil nun ins heimische Netz kommt, die Nutzung hier intern habe ich verweigert (immerhin das darf ich noch knapp).

    Trotzdem kommt sie mit dem Teil heim. Es gäbe in der Schule nicht genügend Steckdosen, um die Geräte aufzuladen…

    1. Avatar von kamome
      kamome

      Danke für Dein Engagement!

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