Vor sieben Jahren, kurz nachdem Nokia eine Kehrtwende hinlegte und sich auf Microsofts Windows Phone einließ, entschlossen sich einige Mitarbeiter von Nokia, es sei an der Zeit, einen eigenen Weg zu suchen, der Allmacht von Google auf dem Sektor der mobilen Betriebssysteme zu entkommen und den vakanten dritten Platz bei den Mobilsystemen zu erobern. Die Finnen gründeten in der Folge die Firma Jolla und entwickelten das mobile Betriebssystem Sailfish OS.
Mast- und Schotbruch
Doch bis dieses genug Wind in den Segeln hatte um zu überleben gab es einige Flauten und sogar einen Mastbruch, der fast zum Untergang des Unternehmens führte. Über all diese auch kritischen Zeiten war Jolla in der Lage, eine sehr enthusiastische Community an sich zu binden, was aufzeigt, wie dringend notwendig eine alternative Entwicklung in diesem Bereich ist.
MeeGo und Mer als Basis
Doch zurück zum Anfang. Jolla Ltd, verkündete im Sommer 2012, das vor einem Jahr eingestampfte Projekt MeeGo wiederbeleben zu wollen und ein Smartphone auf dieser Basis zu veröffentlichen. MeeGo war ursprünglich ein Projekt von Intel und Nokia, das unter dem Schirm der Linux Foundation betrieben wurde. Nachdem Nokia aus dem Projekt ausgestiegen ist, ging MeeGo in Tizen und Mer auf.
Erste Kooperation
Bereits kurz darauf konnte Jolla einen Vertrag über den Vertrieb von Smartphones mit einem Betriebssystem auf der Basis von Mer/MeeGo mit der chinesischen Hitech-Handelskette D.Phone abschließen, die rund 2.000 Geschäfte in China betreibt. Zum Jahresende wird Sailfish OS als Betriebssystem für das im 2. Quartal 2013 erwartete Smartphone vorgestellt. Leider war und ist Sailfish OS nur teilweise Open Source.
Erstens kommt es anders…
Im Mai 2013 stellte Jolla ihr erstes Smartphone mit dem auf der Basis von Qt entwickelten MeeGo-Nachfolger Sailfish OS vor. Das Gerät konnte ab für 399 Euro vorbestellt werden und sollte noch im selben Jahr in viele europäische Länder ausgeliefert werden. Konkurrenten waren damals neben Firefox OS auch Canonical, das Smartphones mit Ubuntu ausstatten wollte. Beide Mitbewerber haben mittlerweile die Segel gestrichen. Jolla lebt noch und glaubt weiterhin an die Umsetzung der ursprünglichen Ziele, wenn auch anders als gedacht.
Das Jolla-Phone
Ende 2013 wurde das erste Jolla-Phone auf den Markt gebracht. Es wurde über den Online-Shop von Jolla im europäischen Ausland verkauft. Das Betriebssystem Sailfish OS ließ sich recht intuitiv durch Gesten steuern und erlaubte es, native Android-Apps auszuführen. Durch erste Erfolge beflügelt traf man bei Jolla daraufhin allerdings eine folgenschwere Entscheidung.
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Ein Tablet mit Sailfish OS sollte das Portfolio erweitern. Es sollte per Crowdfunding finanziert werden. Ziel der Kampagne waren 100.000 Euro, zugesichert wurden mehr als 2,3 Millionen. Das Tablet sollte rund 250 Euro kosten und ab Mai 2015 ausgeliefert werden. Und Jolla segelte das Projekt mit voller Wucht gegen die Kaimauer.
Kein Geld mehr bei Jolla
Im November musste Jolla wegen finanzieller Engpässe die Hälfte der Belegschaft beurlauben, die Fertigstellung des Tablets, das mittlerweile auch vorbestellt werden konnte, verzögerte sich. Der Hauptgeldgeber einer geplanten November-Finanzierungsrunde war abgesprungen, wodurch zehn Millionen Euro Risikokapital fehlten.
Erstes russisches Geld
Im Dezember (PDF) steckten dann damals nicht näher benannte Finanziers eine ungenannte Summe in das Unternehmen, um dessen Fortbestand zu sichern. Wie sich später herausstellte, kam das Geld wohl aus Russland und diente einem bestimmten Zweck. Mittlerweile hatte sich Jolla auf den eigentlichen Wert des Unternehmens, das inzwischen in Version 2.0 veröffentlichte Sailfish OS besonnen und Kontakte zwecks dessen Lizenzierung mit einigen BRICS-Staaten aufgenommen, unter anderem mit Russland, China und Indien.
Tablet abgbesoffen
Das Tablet jedoch wurde, abgesehen von kleinen Stückzahlen nie ausgeliefert und bleibt das Waterloo des Unternehmens. Jolla versprach den Unterstützern die volle Erstattung der geleisteten Zahlungen und hat dies meines Wissens, wenn auch in Raten, eingehalten. Jolla beschloss, keine Hardware mehr zu bauen, sondern sich auf das zu konzentrieren, was man aus eigener Kraft schaffen konnte: die Software.
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Open Source per Gesetz
Die Verhandlungen mit Russland über eine Lizenzierung von Sailfish OS liefen vielversprechend, waren aber schwierig und langwierig. Im Jahr 2016 schreibt ein neues Gesetz dem öffentlichen Sektor Russlands vor, freie Software einzusetzen und mit der globalen freien Software-Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Proprietäre Software war demnach nur noch in gut begründeten Fällen erlaubt.
Auf der Slush-Konferenz 2016 in Helsinki konnte Jolla dann verkünden, dass Russland Sailfish OS als alternatives Mobilsystem zu Android auserkoren hat. Es wurde an die russische Firma Open Mobile Platform Ltd. lizenziert, die bei der letzten Finanzierungsrunde im Dezember 2015 Jolla gerettet hatte.
Russland will weg von Android
Die russische Regierung hatte sich zum Ziel gesetzt, die im Jahr 2015 bestehenden 95 Prozent Marktanteil von Android und iOS in Russland bis 2025 auf unter 50 Prozent zu drücken. Nun wurde mit Jollas Sailfish OS für den Mobilbereich eine Alternative zu Android und iOS erkoren, die die Basis aller künftigen Entwicklungen im Mobilsektor für Russlands Regierung, den öffentlichen Dienst und von der Regierung kontrollierte Unternehmen darstellen soll.
Weitere Kooperationen
Dazu wurde an einer Erweiterung der Sicherheitsmechanismen gearbeitet. Der Kern von Sailfish OS bleibt erhalten, die Peripherie wird auf russische Anforderungen zugeschnitten. Dieses Zusammenarbeitsmodell sollte auch auf andere Länder übertragen werden, mit denen Jolla in Gesprächen war. Dazu zählen nach eigenen Angaben China und Südafrika. Eine Lizenzierung für den indischen Verbrauchermarkt wurde bereits 2016 mit dem indischen Mobilfunkkonzern Intex abgeschlossen, verlief aber im Sand.
Aus Sailfish wird Aurora
2018 hat Rostelecom, Russlands wichtigstes Telekommunikationsunternehmen, führender Anbieter von Breitband-, IPTV-, Pay-TV- und Festnetz-Abonnements und eines der größten Staatsunternehmen, 75 Prozent der Firma Open Mobile Platform Ltd. erworben. Sie kündigten gleichzeitig an, dass Sailfish OS in Aurora OS umbenannt werden soll. Im Unterschied zu Sailfish OS wird Aurora OS auf die Unterstützung von Android-Apps verzichten. Das soll neben der Lokalisierung der einzige Unterschied zu Sailfish OS sein.
Große Pläne
Die russische Regierung plant, alle Staatsbeamten zur Verwendung des Aurora-Betriebssystems auf mobilen Geräten zu verpflichten. Die Umsetzung dieses Plans wird voraussichtlich rund 160 Milliarden Rubel kosten. So will die russische Regierung bis Ende 2021 etwa acht Millionen Beamte auf die Verwendung von Aurora-OS-Geräten umstellen. Auch das russische Postwesen ist dabei, 300.000 Geräte mit Sailfish OS an seine Briefträger zu verteilen.
Intelligente Häuser in Bolivien
Russland ist aber nicht das einzige Segel, das Jolla gesetzt hat. Gespräche laufen mit China und Südafrika. Erste Früchte trägt eine Zusammenarbeit mit dem bolivianischen IT-Provider Jalasoft in Form eines Smartphones namens Accione. Dabei ist das Smartphone eher ein Testballon, das eigentliche Ziel ist die Steuerung intelligenter Häuser.
Erste Gewinne
Im Jahr 2018 konnte Jolla in einigen Monaten Gewinn erzielen, neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Mitbegründer und CEO Sami Pienimaki zeigte sich auf dem World Mobile Congress im Frühjahr in Barcelona überzeugt, dass Jolla aus dem schwierigen Fahrwasser heraus sei und für die Zukunft gut aufgestellt sei.
Jolla hat überlebt
Jolla hat schwere Zeiten überstanden und durch Konzentration auf seine Kernkompetenz alle Krisen überwunden. Andere Ansätze, Alternativen zu Android und iOS zu etablieren, sind gescheitert. So wurde Firefox OS wegen ausbleibendem Erfolg eingestellt. Auch Canonicals Mark Shuttleworth wollte ein eigenes mobiles OS auf der Basis von Ubuntu erstellen und scheiterte.
Librem 5 als Chance auf freie Software im Mobilbereich
Ob das derzeit in den letzten Zügen der Entwicklung befindliche Linux-Phone Librem 5 des amerikanischen Herstellers Purism diesen Zustand langfristig wird ändern können, muss sich erst noch zeigen.
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